Auf der Durchreise

Mit der Bahnhofsmission auf Tour

Am Hauptbahnhof ist ein stetiges Kommen und Gehen, Willkommenheißen und Abschiednehmen. Wenn das einmal nicht so funktioniert, wie es soll, gibt es Hilfe in der Bahnhofsmission – bei der Weiterreise und auch in anderen Notlagen. 

 

Fotos: Bernd Schaller, Text: Carolin Scholz 

Morgens um 9 Uhr ist es in der Bahnhofsmission am Düsseldorfer Hauptbahnhof ruhig. Zwar sind fast alle Stühle besetzt, aber ruhig ist es trotzdem. Ein paar Gäste schauen versunken in ihren Kaffeebecher, ein paar haben den Kopf auf dem Tisch abgelegt oder sich auf ihrem Stuhl zurückgelehnt und sind eingeschlafen. Viele sind müde, haben draußen geschlafen und die Nacht noch in den Knochen. Immer wieder kommen weitere Menschen herein, bitten um einen Kaffee mit ganz viel Zucker und eine Banane.  

 

Anlaufstelle bei Problemen  

Wohnungslose Menschen gehören fest zum Klientel der Bahnhofsmission, sind aber nicht die Einzigen, die sie aufsuchen. „Wir sind eine Anlaufstelle für alle Menschen, die in und um den Bahnhof ein Problem haben“, fasst es Ingrid Gündisch, seit Juni Leiterin der Bahnhofsmission am Düsseldorfer Hauptbahnhof, knapp zusammen. Das können Menschen auf der Durchreise sein, die sich am Bahnhof nicht zurechtfinden, ihre Papiere oder Tickets verloren haben, denen das Portemonnaie gestohlen wurde oder die ihren Zug verpasst haben. Aber eben auch Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße und rund um den Hauptbahnhof haben.

In der Bahnhofsmission finden sie Hilfe – von der schnellen Unterstützung bei der Weiterreise bis zur Sozialberatung. Jeden Morgen um 7 Uhr öffnen die Mitarbeitenden die Türen der Bahnhofsmission. Dann ist erst einmal Kaffeezeit. Es gibt Kaffee und Tee, ein Bäcker bringt Brötchen und Teilchen vom Vortag, drei Mal pro Woche gibt es auch etwas Obst. Am Morgen sind es besonders die Wohnungslosen, die den Weg in die Bahnhofsmission suchen, um nach der Nacht zur Ruhe zu kommen.

Einige sehen gepflegt aus, andere kommen ohne Schuhe an den Füßen. Bei vielen spielt das Thema Sucht eine Rolle. Nicht alle sprechen gut Deutsch. Übersetzungen und Hilfe beim oft schwer verständlichen Papierkram sind ein großer Teil der Sozialberatung. Oft geht es auch darum, auf Angebote hinzuweisen – etwa wo es medizinische Hilfe gibt. Deshalb ist es auch wichtig, gut mit anderen Stellen im Hilfesystem vernetzt zu sein.  

 

Rundgang durch den Bahnhof

Immer wieder kommen Ingrid Gündisch und die anderen Mitarbeitenden aber auch einfach mit den Menschen ins Gespräch. „Da erfährt man mit der Zeit auch viel über das Leben unserer Besucher*innen“, sagt die Leiterin und Pädagogin. Viele sieht Ingrid Gündisch immer wieder – wenn nicht jeden Tag, dann doch zumindest mehrmals pro Woche. Einige begrüßt sie mit Namen, bemerkt, wenn sie länger nicht kommen. „Wenn ich jemanden länger nicht gesehen habe, erkundige ich mich bei den anderen Gästen, ob es der Person gut geht und ob ich irgendwie helfen kann.“

Wenn gegen 10 Uhr die Kaffeezeit endet, schließt Ingrid Gündisch die Türen der Bahnhofsmission für eine Weile und macht sich mit ihrer Kollegin Jennifer Derendorf auf einen Rundgang durch den Bahnhof. Dazu ziehen sie ihre blauen Westen mit großem „Bahnhofsmission“-Logo über und packen einige Wasserflaschen und Bananen in eine Tasche. „Bei den Rundgängen geht es darum, Präsenz zu zeigen“, sagt Ingrid Gündisch. Nicht jede und jeder Hilfesuchende finde direkt den Weg zur Bahnhofsmission.

Die Präsenz wirkt. „Können Sie mir sagen, wo ich die U72 finde?“, fragt ein Mann. Dass die beiden beim Rundgang von Reisenden angesprochen werden, komme sehr häufig vor. Und sei es nur, um die U-Bahn oder die Toilette zu finden. Ingrid Gündisch und Jennifer Derendorf gehen aber auch die Schlafecken der wohnungslosen Menschen ab, die sie rund um den Bahnhof kennen. Durch den Hinterausgang links beim Taxistand haben sich zwei Wohnungslose eingerichtet. „Möchtet ihr ein Wasser und eine Banane?“ Sie möchten. Auch ob alles in Ordnung ist, fragen die beiden Sozialarbeiterinnen. „Wenn ihr was braucht, könnt ihr gern in die Bahnhofsmission kommen“, sagt Ingrid Gündisch.

Sie und ihre Kollegin wissen, wo sich regelmäßig Menschen rund um den Bahnhof einen Ort zum Schlafen suchen, und versuchen auch im Auge zu behalten, ob irgendwo ein Schlafplatz geräumt wurde oder sich neue Personen niedergelassen haben. An der Volkshochschule am Bertha- von-Suttner-Platz machen die beiden kehrt und gehen zurück durch die Haupthalle zum vorderen Eingang. Auch hier schauen sie in die üblichen Ecken. An diesem Tag ist nicht viel los, also geht es zurück in die Räume der Bahnhofsmission im Gang zwischen den Bahnsteigen 12 und 13. 

 

Pausenraum für Familien

Auch wenn die Arbeit mit Wohnungslosen viel Raum einnimmt, ist das lange nicht die einzige wichtige Aufgabe. Die Bahnhofsmission versteht sich als Anlaufstelle für alle Reisenden, die Hilfe oder einen Platz zum Ausruhen brauchen. Für Familien etwa bietet sie direkt gegenüber vom Hauptraum eine Kinder-Lounge an, die häufig genutzt wird. Kommt man hier hinein, ist es direkt viel leiser als draußen. „Das ist ein Ort für Familien, die mal eine Pause brauchen“, sagt Ingrid Gündisch. Es gibt eine Kuschelecke, Bücher und Spielsachen. Durch Vorhänge ist ein wenig Privatsphäre möglich. In einer anderen Ecke, die von draußen nicht einsehbar ist, stehen ein bequemer Sessel zum Stillen und ein Wickeltisch. 

Hilfe beim Umsteigen

Ein weiteres wichtiges Feld der Bahnhofsmission ist die Reisebegleitung. Für Jennifer Derendorf steht am Mittag eine an. Die Reisebegleitung kann man recht kurzfristig und unbürokratisch vorab buchen. „Sie richtet sich an Menschen, die in ihrer Reisefähigkeit eingeschränkt sind. Wir holen sie von ihrem Zug ab und helfen beim Umsteigen“, sagt Jennifer Derendorf. Das sind oft ältere Menschen oder Menschen, die wegen einer Behinderung auf Unterstützung angewiesen sind. Immer wieder helfen sie aber auch Kindern, die ein Stück ihrer Reise alleine machen – etwa auf dem Rückweg von einer Klassenfahrt. Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission zeigen, wo Aufzüge sind, oder eben den Weg von einem Gleis zum nächsten.

Über den Tag verändert sich das Klientel im Hauptraum der Bahnhofsmission. Während am Morgen viele Menschen hier sind, die keine Wohnung haben, sind es am Nachmittag oft ältere Menschen, die vorbeischauen. Der Besuch in der Bahnhofsmission gibt ihnen Struktur im Alltag. Viele wohnen in der Nähe und suchen Kontakt zu anderen und ein nettes Gespräch, fühlen sich einsam in ihrer Wohnung. Auch dafür stehen die Türen offen.

Ob sie die Menschen, die zur Bahnhofsmission kommen, noch einmal wiedersehen, wissen die Mitarbeitenden nie. Bei denen auf der Durchreise und bei denen, die jede Woche oder jeden Tag auf einen Kaffee vorbeikommen, könnte jeder Abschied der letzte sein. Zu viele Gedanken macht sich Ingrid Gündisch darüber aber nicht. Die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission begleiten die Menschen nur auf einem Stück ihres Weges – egal ob bildlich gemeint, in einer Phase ihres Lebens oder wortwörtlich: von einem Zug zum anderen. 

Die Bahnhofsmission

Kontakt

Die Bahnhofsmission ist unter Telefon 0211 36 28 28 oder per Mail an duesseldorf@bahnhofsmission.de erreichbar.

Lesen Sie mehr zum Thema Abschied

Zweifel

Sektenausstieg: Karin Kubusch war 37 Jahre lang Mitglied der Zeugen Jehovas. Wegen ihres Austritts haben ihre Kinder und Enkelkinder den Kontakt zu ihr abgebrochen.

Weiterlesen
Abschied vom Leben

Der Abschied vom Leben ist ein endgültiger. Ob man über ihn auch selbst entscheiden darf und ob man sogar Menschen helfen darf, ihr eigenes Leben zu beenden – bei dieser Frage scheiden sich die Geister. In der Schweiz begleiten seit Jahrzehnten Sterbehilfe-Vereine Menschen beim Suizid. Wir sprachen mit Dr. med. Marion Schafroth, Präsidentin des Schweizer Sterbehilfevereins Exit, und dem Präsidenten der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, über das kontroverse Thema.

Weiterlesen
Auf einem anderen Planeten

Daria Satska war zu Beginn des Krieges in der Ukraine zu einer Freundin nach Deutschland geflüchtet. Nach mehr als einem Jahr kehrte sie in ihre Heimatstadt Kyjiw zurück – und fühlt sich jetzt weniger machtlos

Weiterlesen
Verwaiste Eltern

Ein Kind zu verlieren, wirft das Leben aus der Bahn. In der Gruppe für verwaiste Eltern unterstützen Ulrike Wewer und Elke Windeln Betroffene dabei, die Trauer anzunehmen.

Weiterlesen
Mein Weg aus der Abhängigkeit

In der Tagesklinik der Fachambulanz schreiben die Klient*innen im Rahmen der Therapie einen Abschiedsbrief an ihr Suchtmittel und an sich selbst. Die sehr persönlichen Briefe zeigen Suchtgeschichten auf, verdeutlichen, wie unterschiedlich Menschen mit einer Suchterkrankung umgehen und welche Wege die Klient*innen für sich gefunden haben, um aus der Abhängigkeit herauszufinden.

Weiterlesen