Die Mitarbeitenden des Diakonie- Hospizes in Berlin-Lichtenberg begleiten Menschen, die bald sterben werden. Wir haben sie gefragt: Was macht es aus, das Leben am Ende des Lebens?
Fotos: Hospiz Berlin-Lichtenberg
Text: Anne Heidrich
Es ist Zeit. Den Menschen, die im Diakonie- Hospiz in Berlin-Lichtenberg leben, bleiben wenige Monate, Wochen, Tage. Mit den kalten Fakten der Statistik ausgedrückt verweilen sie durchschnittlich 25 bis 30 Tage in der umgebauten Villa aus dem 19. Jahrhundert, die mitten im Grünen steht, im Berliner Landschaftspark Herzberge. Sie können aus den Fenstern in die Wipfel der Bäume schauen, Vögel zwitschern hören, sogar Schafe beim Grasen beobachten. Ein Ort des Lebens, so idyllisch, wie er kurz vor dem Tod nur sein kann.
Im Jahr 2005 eröffnet, begleiten haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende dort zusammen mit Palliativmediziner*innen sterbende Menschen. Die meisten leiden an Krebs. Ihr oft schweres, letztes Lebewohl – es wird unterstützt von Menschen, die Erfahrungen haben mit Abschieden. Wie Einrichtungsleiter und Seelsorger André-Sebastian Zank, wie Sozialarbeiterin Sina Carla Chikar und wie Sandra Kulik, die die Arbeit mit den Ehrenamtlichen in dem Hospiz koordiniert. Ihr Ziel: „Leben bis zuletzt ermöglichen“, wie es André- Sebastian Zank ausdrückt: mit möglichst viel Qualität. Was macht es aus, das Leben am Ende des Lebens?
Was bleibt zu tun?
Letzte Wünsche verwirklichen. „Oftmals sind das Dinge, die auch im Leben eine Bedeutung hatten“, sagt André-Sebastian Zank. Ein letztes Spiel von Hertha im Berliner Olympiastadion anschauen. Noch einmal das Meer sehen. Wieder auf dem geliebten Motorrad sitzen. Endlich den Lebenspartner heiraten. Bei der Realisierung hilft der Wünschewagen des Arbeiter-Samariter-Bundes in Berlin. Häufig ginge es aber auch um Kleines, hat Sina Carla Chikar festgestellt. Unerledigte Finanzgeschäfte regeln. Ein Treffen mit Vereinsmitgliedern. Ein Eis essen – ohne Übelkeit oder Schmerzen.
Was bleibt zu erzählen?
Große Einschnitte der Historie, die sich in den Lebensläufen wiederholen, sagt Sandra Kulik. Geschichten aus der Nachkriegszeit. Fluchterfahrungen. Erzählungen aus der Wendezeit: „Wenn wir sterben, ist der Blick zurück länger als der Blick nach vorn.“ Jeder Mensch stünde dennoch für sich, „gerade im Kleinen zeigt sich die Individualität“. Eine Gemeinsamkeit sei, dass es oft um die vielen verschiedenen Arten und Weisen ginge, wie die Beziehungen eines Lebens gestaltet worden seien, manchmal auch darum, die Konflikte, die Zwistigkeiten des Lebens noch zu lösen. „Wir hören zu“, sagt André-Sebastian Zank: „Aber es gibt auch Menschen, die haben am Ende ihres Lebens gar nicht das Bedürfnis, ihre ganze Biografie noch einmal aufzubereiten.“
Was bleibt an Halt?
Religion – jenen Menschen, die in ihrem Leben mit religiösen Werten und Ritualen aufgewachsen sind, sagt André-Sebastian Zank. Das Gebet, das Händefalten, „das gibt diesen Menschen Erleichterung und Trost“, ein Segen tue fast allen gut. Oder Gespräche, „das kann dann auch bei einer gemeinsamen Zigarettenpause mit einer Pflegerin passieren“. Oder Musik, „die besondere Erinnerungen hervorruft“, meint Sina Carla Chikar. Da liefen die Tränen, egal ob es sich um klassische Kompositionen oder Heavy Metal handele.
Auch Sinn? Aus der Außenperspektive mache eine schwere Erkrankung natürlich überhaupt keinen Sinn, meint André- Sebastian Zank. Doch könnten Menschen aus ihrer persönlichen Perspektive in einer unheilbaren Krankheit auch einen Sinn entdecken. „Plötzlich erleben sie ihre Beziehungen ganz anders. Plötzlich bekommen sie ein ganz anderes Gefühl dafür, wie wertvoll, wie kostbar so ein Leben ist.“ Sandra Kulik erinnert sich an die Begegnung mit einer sehr kranken Frau: „Sie sagte mir: ,Seit ich die Diagnose habe, fühle ich mich ganz frei – ich kann machen, was ich will, ich kann sagen, was ich will‘.“ Das habe beinahe etwas Kathartisches gehabt, „es war toll, sie zu erleben“.
Was bleibt zu betrauern?
Die wunderbaren Momente des Lebens. Denn es sei schmerzlich zu erkennen, etwas nie wieder erleben zu können, was bedeutungsvoll gewesen ist, was glücklich gemacht hat, meint André-Sebastian Zank. Manchmal gehe es aber auch darum, eine Zukunft, die nicht mehr gelebt werden kann, zu betrauern. Wer mit dem Gefühl „Ich habe mein Leben gelebt, aber ich bin mit meinem Leben ganz froh“ sterbe, sei oft auch von großer Dankbarkeit getragen. Doch Sina Carla Chikar erinnert sich an eine Frau, Mitte 40, die ein sehr schweres Leben hatte, endlich glücklich werden wollte – und dann die schwere Diagnose bekam. Deren Schicksal habe sie mit einem tiefen Ungerechtigkeitsgefühl konfrontiert. Dann bleibe nur an-zuerkennen: „Ja, es ist einfach unge-recht.“ Denn einen Wunsch können auch sie den Sterbenden nicht mehr erfüllen: Zeit zu haben, zu leben.
Ehrenamtliche gesucht
Das Diakonie-Hospiz in Berlin-Lichtenberg sucht ehrenamtliche Mitarbeitende. Menschen, die Freude daran haben, sich auf den Kontakt und die Begegnung mit Sterbenden einzulassen und sie auf ihrem je eigenen Weg zu begleiten, werden in einem Kurs auf diese Tätigkeit vorbereitet. Er dauert neun Monate und findet jeden zweiten Mittwochabend und an einem gemeinsamen Wochenende statt. Die Einsätze beginnen nach dem ersten Drittel des Vorbereitungskurses und werden eng begleitet. Auch danach können die ehrenamtlichen Mitarbeitenden das Supervisionsangebot des Hospizes in Anspruch nehmen. Mehr Informationen dazu gibt es hier.
Auch für verschiedene Einrichtungen in Düsseldorf werden immer wieder Ehrenamtliche gesucht, die Menschen in ihrer letzten Lebensphase begleiten. Mehr Informationen unter www.freiwilligenzentrale.info