Gespräch Anne Wolf
Foto Polina Green on unsplash
Anna Schatz wünscht sich schon lange ein Kind. Aber wie bei vielen anderen Frauen hat es bisher einfach nicht geklappt. Über den Umgang damit hat sie ein Buch geschrieben – offen und mit viel Humor.
Du schreibst in deinem Buch, dass es für dich sehr anstrengend sei, dazu zu stehen, dass du keine Kinder hast. Warum ist das so?
Weil ich das Gefühl habe, mich dauernd rechtfertigen zu müssen. Wenn man Kinder hat, machen die Leute an das Thema in Gedanken einen Haken dran, Pflicht erfüllt, es kommen keine Nachfragen. Wenn man keine hat, ist man sofort in einer Schublade drin, man muss sich erklären, sagen, warum das so ist. Das ist sehr belastend. Denn ich möchte als ich selbst wahrgenommen werden und nicht als die Frau, die keine Kinder hat. Bei Männern ist das anders: Ich habe nicht das Gefühl, dass da unterschieden wird in Vater und Nicht-Vater.
Woran liegt das?
Seien wir ehrlich, Kinder zu bekommen, das liegt auch in unserer Natur. Das ist etwas, das man nicht wegdiskutieren kann. Aber ich finde es schade, dass das Muttersein als einziges Lebensziel gilt. Man kann viele Ziele haben. Wir sollten so offen sein, zu akzeptieren, dass es Menschen gibt, die keine Kinder haben, egal aus welchem Grund.
In deinem Buch beschreibst du auch, wie Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch mit Ratschlägen überhäuft werden.
Das hat mit einer gewissen Hilfslosigkeit der Leute zu tun. Die Leute sehen: Da ist jemand traurig, da ist irgendetwas nicht gut, da muss ich einen Ratschlag geben. Aber ich brauche niemanden, der mir sagt: Jetzt entspanne dich mal und trink mal den und den Tee, dann klappt das schon. Das klingt ein bisschen so, als wäre ich bisher zu doof fürs Kinderkriegen gewesen. Aber um Himmels willen, ich habe alles durch, ich weiß, warum da kein Kind ist. Das ist ein Fakt, kein Makel, gegen den man etwas tun muss.
In deinem Buch fällt auch der Satz: Kinderlosen darf man alles raten, Mütter sind sakrosant. Was meinst du damit?
Als Frau ohne Kinder wird man durch eine andere Brille wahrgenommen: Weil ich als Frau keine Kinder habe, muss jeder Kritikpunkt von mir an einer Mutter automatisch Neid sein. Aber ich gehe ja als kinderlose Frau nicht durch die Gegend und korrigiere Mütter. Ich würde meine Nachbarin auch für ihr nerviges Parkverhalten kritisieren, wenn sie keine Kinder hätte. Aber wenn mein Freund zu einer befreundeten Mutter sagt: „Sag mal, findest du das sinnvoll, dass dein Kind vier Stunden am Tag vorm PC hockt?", dann ist das okay.
Du bemängelst auch, dass die Not von Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch ausgenutzt wird, um daran zu verdienen.
Das ist total furchtbar, das ist wie eine Gelddruckmaschine. Denn natürlich sind viele Frauen verzweifelt und natürlich versuchen sie da noch einmal dieses oder jenes. Aber was uns da vermittelt wird, ist absurd. Da heißt es: Du musst nur noch diesen Tee trinken oder jenen Test machen, dann klappt das schon. Aber niemand ist jemals nur durch einen Tee schwanger geworden. Du sprichst von deiner Kinderlosigkeit auch als einer Sehnsuchtskrankheit, gegen die es keine Medizin gibt.
Wie kann man das verstehen?
Das ist schwer zu beschreiben: Wenn von mir ein naher Verwandter stirbt, dann werde ich ab und zu denken: Das möchte ich ihm so gerne erzählen, aber ich weiß, dass das nicht geht. Das ist eine Trauer, die immer mitschwingt und die man nicht heilen kann. So ähnlich ist das auch bei einem unerfüllten Kinderwunsch. In verschiedenen Lebensphasen kommt die Trauer immer mal wieder hoch. Wenn die ganzen Schulanfänger durch die Gegend gehen, weiß ich, dass ich kein Kind zum ersten Schultag begleiten werde. Dann bin ich traurig, genauso traurig wie ich darüber bin, dass ich meinem verstorbenen Lieblingsonkel nicht mehr erzählen kann: „Schau mal, ich bin jetzt auch einen Marathon gelaufen.“
Hast du Strategien gegen diese Traurigkeit?
Ich habe zwei Strategien. Die eine ist die, zu akzeptieren, dass diese Traurigkeit, keine Kinder zu haben, immer wieder hochkommen kann. Ich ziehe mir die Traurigkeit dann an wie eine Wolljacke und sage mir: „Ich nehme das jetzt mal eine kurze Zeit mit, aber es wird auch wieder wärmer und dann kann ich die Wolljacke wieder in den Schrank hängen.“ Die andere Strategie ist, dass ich mir durchaus sehr gut überlege, was für mich sinnvoll ist: Ist es sinnvoll, dass ich mich an einem Tag, an dem ich traurig darüber bin, dass ich keine Kinder habe, unter lauter Menschen mit Kindern begebe? Wenn ich alkoholkrank bin und einen Tag habe, an dem ich großen Suchtdruck habe, gehe ich ja auch nicht gerade in eine Bar. Das war aber etwas, das ich erst lernen musste: Einfach mal zu sagen, das mache ich heute nicht, das ist doof.
Du sagst auch, dass du auch lernen musstest, die Wut zuzulassen.
Das hat lange gedauert. Aber bei allem Verständnis: Ich muss auch sauer sein und sagen dürfen: „Das finde ich jetzt blöd.“ Wenn jemand zu mir sagt: „Du hast ja keine Kinder …“, oder: „Wann ist es denn bei dir so weit?“, „An wem liegt’s denn?“, oder: „Bei meiner Schwester hat das auch ganz lang gedauert“, dann muss er heute damit rechnen, dass ich ihn frage, was diese dummen Fragen eigentlich sollen. Denn ich muss mir nicht alles gefallen lassen.
Was würdest du anderen Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch raten?
Der Ausgangspunkt ist bei jeder Frau anders, darum ist es schwer, generell etwas zu raten. Die einen versuchen vielleicht die ganze Zeit, Kinder zubekommen, aber es klappt einfach nicht, und die anderen wissen vielleicht schon lange, dass es einfach nicht funktionieren wird. Aber gut ist immer, sich zwei Sätze zurechtzulegen, die man als Antwort parat hat, wenn man nach seiner Kinderlosigkeit gefragt wird. Dann treffen einen die Fragen nicht unvorbereitet.
Der Titel des Interviews lautet „Abschied vom Kinderwunsch“, aber aus deinen Antworten höre ich heraus, dass man sich von dem Wunsch nach Kindern vermutlich nie ganz verabschieden kann. Ist das so?
Man kann sich von einem Kinderwunsch nicht verabschieden, aber man kann für sich die Entscheidung treffen zu sagen: Okay, das funktioniert nicht, ich mache mir mein Leben jetzt anders schön. Das heißt aber nicht, dass der Kinderwunschteil in mir nicht immer noch da ist. Ich werde sicherlich in 30 Jahren auf einer Bank sitzen und denken: „Wie schade, dass ich kein Enkelkind habe, das jetzt mit mir hier sitzt und die Enten füttert.“ Aber zu wissen, dass das so ist, gehört für mich zum Abschied dazu. Es ist also eher ein Abschied davon, das Thema in meinen Lebensmittelpunkt zu stellen.
Gab es dafür einen bestimmten Auslöser?
Es gab einen Punkt, nach meiner letzten Fehlgeburt, an dem ich gesagt habe: So, ich möchte so nicht weitermachen. Immer dieses Hoffen und Bangen. Ich habe früher zum Beispiel keine Reise zu meiner Nichte nach Japan geplant, weil ich im Kopf hatte, dass ich schwanger werden könnte und dann nicht fliegen kann. Aber wenn ich mich die nächsten zehn Jahre einschränke in der Hoffnung, dass es vielleicht doch noch klappt, dann lebe ich gar nicht mehr. Wichtig ist für mich auch, dass ich weiß: Nur weil ich keine Kinder habe, bin ich im Alter noch lange nicht alleine. Ich kümmere mich zum Beispiel um meinen Onkel und meine Tante, die keine Kinder haben. Familie ist immer etwas, was von Herzen kommt, und ob ich nun mit den Leuten direkt verwandt bin oder nicht, spielt dabei keine Rolle.
Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen
Anna Schatz, geboren 1981, ist Autorin und lebt in Hamburg. Anna Schatz’ Buch „Wenn ich noch eine glückliche Mami sehe, muss ich kotzen – Mein Leben mit unerfülltem Kinderwunsch“ ist im rowohlt Verlag erschienen (www.rowohlt.de).