Mein persönlicher Weg aus der Abhängigkeit

Klientinnen schreiben Abschiedsbrief an ihr Suchtmittel  

Foto: Yoel Winkler on unsplash

In der Tagesklinik der Fachambulanz schreiben die Klient*innen im Rahmen der Therapie einen Abschiedsbrief an ihr Suchtmittel und an sich selbst. Die sehr persönlichen Briefe zeigen Suchtgeschichten auf, verdeutlichen, wie unterschiedlich Menschen mit einer Suchterkrankung umgehen und welche Wege die Klient*innen für sich gefunden haben, um aus der Abhängigkeit herauszufinden. Frauke und Sara* haben zwölf Wochen die Tagesklinik der Fachambulanz für suchtkranke Menschen der Diakonie besucht. Sie haben uns erlaubt, ihre Briefe, die einen Weg aus der Abhängigkeit weisen, zu veröffentlichen.  

*Namen verändert

Tränen dürfen sein 


Liebe Frauke,


so sieht es aus. Gefühlt im Bauch und (mit meinem „Dachschaden“) im Kopf:


Ich bin 50 Jahre alt und in den Wechseljahren.
Ich habe zwei zauberhafte Töchter in der Pubertät (11 und 13 Jahre).
Ich habe einen fünf Jahre älteren Ehemann.
Ich lebe in einer Doppelhaushälfte in einem Stadtteil im Süden Düsseldorfs.

 
Die Sommerferien haben begonnen. Meine Töchter haben tolle Zeugnisse bekommen. 
Alles tutti, oder? 
Ich bin oft nicht glücklich. 


Mir fehlen Anerkennung und Berührung und Wärme und Bestätigung.
Mein Ehemann ist eiskalt. Ich friere ein neben ihm. 


Aber heute ist ein glücklicher Tag. Ich hatte sechs Stunden nur für mich und war in der Buchhandlung. Ich habe mir Schuhe gekauft. Ich habe ein Eis gegessen. Ich war wie früher im Park. Wenn ich keinen Zeitdruck habe, geht es mir gut. 


Das möchte ich mitnehmen aus der Therapie in meinen Alltag: 

  • Wenn Du vor Dir wegrennst, hau die Bremse rein.
  • Höre in Dich hinein: Welche Bedürfnisse hast Du? 
  • Tue, was Dir guttut.
  • Tränen dürfen sein. 
  • Sei wahrhaftig und ehrlich zu Dir selbst.
  • Höre auf Dein Bauchgefühl. (Trau Dich!) 
  • Genieße den Moment. (Ich habe Angst!)
  • Habe Dich lieb. (Vertraue Dir!)
  • Lass die Wut raus. (Habe Mut!) 


Mein Status: Ich bin Alkoholikerin. Ich nehme abends zur Beruhigung Antidepressiva (10 Milligramm). Ich bin seit 5 Wochen in der Tagesklinik. 

Deine Frauke 

Mr. Toxic


Hallo toxischer Freund,

 
warum ich dich toxisch nenne? Naja, du hast ja nun wahrlich alle Register gezogen! Hast dich heimlich, still und leise in mein Leben geschlichen. Es war auch wirklich toll mit dir. So lustig und unbeschwert, ich fühlte mich sicher und du hast mir manche Sorge genommen.

Aber irgendwann hat sich etwas verändert. Ich fühlte mich so belastet in meinem Leben. So Sachen, die halt „passieren“: Trennung, die alleinige Verantwortung für viele Kinder, Vollzeit berufstätig sein etc. und natürlich „funktionieren“. Und der Einzige, der mir Trost spenden konnte, warst du.

Und da muss es passiert sein. Da hast du zugeschlagen. Hast die Kontrolle über mein Leben gewonnen. Meine Seele vergiftet. Dein zerstörerisches Wesen über mich ausgebreitet. Ich wurde immer hilfloser, traurig, launisch, depressiv.

Schuldgefühle und kreisende Gedanken waren mein ständiger Begleiter. Konnte nicht mehr schlafen, wusste nicht mehr ein noch aus, hab aber weiter „funktioniert“. Sogar Gedanken, das Leben beenden zu wollen, waren da. Und jetzt rate mal, wer mir zur Hilfe eilte? Du!

Das durch meine Sucht entstandene Leiden meiner Kinder, gab mir - in all meiner Misere – das Quäntchen Mut, mir Hilfe zu holen. So wie du Schritt für Schritt Macht über mein Leben gewonnen hast, so durfte ich mir jetzt Schritt für Schritt mein Leben zurückholen, meinen Wert erkennen, mich selbst annehmen, mich einfach wieder gut fühlen.

Die Zugewandtheit und Annahme der Therapeut*innen – und natürlich ihre fachliche Kompetenz – waren für mich eine unermesslich große Hilfe. Genauso die bereichernden Begegnungen und Gespräche mit den wertvollen Menschen bei den Gruppenabenden. Hier musste ich mich nicht verstecken, mich nicht schämen. Zuvor hätte ich mir nicht ansatzweise vorstellen können, dass „so eine“ Gruppentherapie etwas bringt. Wie schön, dass ich eines Besseren belehrt wurde.

So, und daher bist du nun auch nicht mehr mein „Toxischer Freund“. Ich nenn dich jetzt mal „Mr. Toxic“. Und ich weiß, dass du hinter irgendeiner Ecke lauern kannst. Und du meinem Ziel, ‚nämlich mit jeder Faser meines Wesens zu wissen, dass du bei mir nicht mehr landen kannst‘, ein Schnippchen schlagen willst. Und sollte dir dies in einem meiner schwachen Momente gelingen, dann weiß ich jetzt folgendes: Ich weiß, dass es Hilfe gibt. Und dass ich sie annehmen kann. Und wo ich sie finde.

Deine Sara 

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