Profis im Abschiednehmen

Bei der Diakonie Düsseldorf lernen Auszubildende in der Pflege auf besondere Weise mit dem Abschied von Sterbenden umzugehen

Text: Julius Kohl

Mit jedem Zug wird die Atmung ruhiger, die Herzschläge langsamer. Ein letztes röchelndes Ausatmen, dann füllt nur noch Stille den Raum. So erlebte Aleksandra Wilczek-Konderak das Sterben eines Menschen, den sie pflegte. Die 47-Jährige ist Auszubildende zur Pflegefachperson bei der Diakonie Düsseldorf und arbeitet in der mobilen Pflege. Sie war schon vor ihrer Ausbildung in der Pflege tätig und hat einige Menschen bis zu ihrem Tod gepflegt. In einem früheren Arbeitsleben in Polen war sie katholische Theologin. Sie sagt: „Viele alte Menschen sind bereit zu sterben. Sie wissen, dass ihre Tage weniger werden. Auch wenn noch Ängste aufkommen, sind sie bereit.“ Für den Moment des Abschieds gut vorbereitet zu sein und zu wissen, wie man Abschied nimmt, ist aus ihrer Sicht auch für Pflegekräfte wichtig:

Das ist ein ganz wichtiges Thema in der Ausbildung. Pflegekräfte brauchen für sich Sicherheit im Umgang mit diesem Thema.

Aleksandra Wilczek-Konderak steht an einem Pflegebett, in dem ein Mann liegt.

Die Endlichkeit ist ein wichtiges Thema

Auch Mitarbeitendenseelsorgerin Claudia Weik-Schaefer erwartet dies. Sie ist in der Pflegeausbildung der Diakonie Düsseldorf verantwortlich für die Vermittlung der Kultur des Sterbens. Wenn man sie auf den Abschied von Sterbenden in der Pflege anspricht, räumt sie als erstes mit einem Vorurteil auf: „In der Pflege wird nicht tagtäglich gestorben. Es gibt Pflegekräfte, die haben auch nach Jahren im Beruf noch nie jemanden sterben sehen.“ Trotzdem ist der Abschied für sie ein wichtiges Thema. Ihr ist wichtig, dass die zukünftigen Pflegekräfte, egal ob sie Christen sind oder nicht, auf die Frage "Was passiert nach dem Tod?", eine Antwort geben können. Für sich selbst und im Umgang mit den Menschen, die sie pflegen. "Und wenn Sie sagen, 'Ich weiß es nicht!', aber dass sie sich der Frage gestellt haben, sich ihrer eigenen Endlichkeit bewusst sind und darüber sprechen können, das gehört zur Professionalität der Pflege bei der Diakonie dazu", sagt die Theologin.

(K)ein Abschied wie jeder andere

Im Alltag der Pflege, insbesondere, wenn diese über Jahre erfolgt, entstehen sehr intime Beziehungen. „Pflegekräfte kommen den Menschen sehr nah. Da kann ein Abschied von ihnen auch mal schwerer fallen als der von eigenen Angehörigen“, beschreibt Claudia Weik-Schaefer die Herausforderung. Wichtig ist dabei die Klärung der eigenen Vorstellungen, Gefühle und des eigenen Erlebens. Das Alter einer Pflegekraft ist für sie dabei weniger entscheidend als Erfahrungen und Reflexion.

Wir sind eigentlich alle Profis im Abschiednehmen

sagt sie. „Wir nehmen voneinander Abschied, wenn wir aus dem Mutterleib geboren werden, wenn wir die ersten Schritte gehen, wenn wir in die Kita gehen … Das sind alles kleine Abschiede und Verabschiedungen, die wir durchleben und von denen wir lernen.“ Allerdings gibt es bei diesen Abschieden immer ein Danach, dass man sich in den allermeisten Fällen irgendwie vorstellen kann. „Aber nach dem Sterben, da kann man sich halt nicht vorstellen und wissen, was kommt. Und für diejenigen, die zurückbleiben, hört definitiv etwas auf“, zeigt Claudia Weik-Schaefer die Besonderheit des Abschieds von einem sterbenden Menschen auf.

Aleksandra Wilczek-Konderak und Claudia Weik-Schaefer sprechen miteinander

„Beschäftige dich mit deiner Endlichkeit.“

Pflegekräfte der Diakonie sollen lernen, Abschied zu nehmen. Für sich selbst. In der Berufsschule findet dies aus Sicht von Claudia Weik-Schaefer nicht ausreichend statt. Dort steht das Pflegerische im Vordergrund. Den angehenden Fachkräften Zeit und Raum dafür zu geben, sich Fragen nach der eigenen Biografie und Endlichkeit zu stellen, ist eine besondere Qualität der umfassenderen Pflegeausbildung der Diakonie Düsseldorf. Im ersten Ausbildungsjahr steht dies in Form eines Workhshops auf dem Lehrplan. Allerdings ist dieser nur ein erster Anstoß, um die Auszubildenden an das Thema heranzuführen, damit sie sich selbst damit weiter auseinandersetzen können. Die Mitarbeitenden-Seelsorgerin steht ihnen jederzeit für persönliche Gespräche zur Verfügung:

Man kann nicht sagen, 'So, jetzt hast du einen halben Tag Zeit, beschäftige dich mal mit deiner Endlichkeit' und denken, dass es damit getan ist.

Die Diakonie-Kultur des Sterbens

Im Workshop geht es in erster Linie um die Azubis selbst, sie sollen sich selbst reflektieren. Dann lernen sie die unterschiedlichen Vorstellungen und Rituale der evangelischen oder katholischen Christen kennen. In diesem Jahr gab es zusätzlich einen freiwilligen Workshop, in dem auch die Vorstellungen und Rituale des Islam thematisiert wurden. Die Arbeit mit Menschen anderer Religionen wird künftig zunehmen. Die Diakonie beginnt bereits jetzt ihre Auszubildenden darauf vorzubereiten. Außerdem wird die besondere Diakonie-Kultur des Sterbens vermittelt, die für Abschiede und Verabschiedungen entwickelt wurden. Zur besonderen Kultur bei der Diakonie gehört, dass Pflegekräfte sich auf den Rhythmus des sterbenden Menschen einlassen, ihm beistehen, dafür sorgen, dass alles in seinem Sinne geschieht und er ein schönes Umfeld hat. Daher dokumentieren sie die Wünsche der Menschen für diesen Moment für alle im Team und versuchen, sie zu erfüllen.

Aleksandra Wilczek-Konderak sitzt mit einer Frau am Tisch.

Loslassen ist wichtig

Für die Pflegekräfte gibt’s kleine Hilfen, „Tools“, für den Arbeitsalltag.  Zum Beispiel ein Zeichen an der Tür des Zimmers des sterbenden Menschen. Es hilft ihnen, sich der besonderen Situation immer wieder bewusst zu werden. Denn während sie einen sterbenden Menschen pflegen, bewegen sie sich zwischen zwei Welten: Vor der Tür das volle Leben, dahinter der Tod. Weitere solche Tools sind Abschiedsrituale gemeinsam mit den Sterbenden oder – nach dem Versterben – eine kleine Trauerfeier im Team, inklusive einiger Worte der Mitarbeitendenseelsorgerin. Es besteht auch die Möglichkeit, an der Beerdigung teilzunehmen. Hinter diesen Tools steckt die Absicht, dass die Pflegekräfte einen Weg für sich finden, zu verarbeiten und loszulassen. Laut Claudia Weik-Schaefer zeigt die Erfahrung, dass dies wichtig ist.

Aleksandra Wilczek-Konderak wird ihre Ausbildung in diesem Jahr abschließen. Aufgrund ihrer eigenen Erfahrung appelliert sie an ihre Kolleginnen und Kollegen, die sich noch in der Ausbildung befinden:

Nehmt euch Zeit für den Abschied. Viele Menschen können sich nicht von Sterbenden verabschieden. Das führt dazu, dass sie oft keine Ruhe finden und keine Frieden mit der Situation haben. Daher ist der Abschied wichtig.

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