"Liebe fördert die Empathie"
Foto: Christopher Beloch on unsplash/Michael Reh
Ab 1994 hat Lilo Wanders für mehr als zehn Jahre das Format „Wa(h)re Liebe“ beim Sender VOX präsentiert. Lilo Wanders gilt als Expertin für Fragen zu Liebe, Sex und Partnerschaft und hat ganze Generationen aufgeklärt. Was macht echte Liebe für Lilo Wanders aus? Wir haben nachgefragt.*
Liebe Frau Wanders, was ist wahre Liebe?
Das ist eine der am schwersten zu beantwortenden Fragen, weil wohl jeder Mensch, abhängig von seiner Sozialisation und Weltsicht, eine andere Antwort darauf hat. Für meine Mutter war Liebe aufopfernd, selbstlos und nichts verlangend.
Ihrem Ideal nahe kommt das junge Paar in der Geschichte „Das Geschenk der Weisen“ des amerikanischen Schriftstellers O. Henry, entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts. Die beiden können sich kaum ihre bescheidene Wohnung leisten, wollen sich aber gegenseitig zu Weihnachten beschenken. Sie beschließt, für ihn eine Uhrenkette für seine geerbte kostbare Taschenuhr zu kaufen, er möchte ihr einen wertvollen Kamm für ihr knielanges Haar übergeben. Um die Summen aufzubringen, verkauft sie ihr Haar an einen Perückenmacher und er seine wertvolle Uhr.
Mir ist das ein wenig zu pathetisch, ebenso wie die Mär, dass eine Albatrosmutter sich ihr Herz herausreißt, um ihre hungernden Kinder zu füttern. Natürlich kann man sich auch eine Liebe vorstellen, die sagt „Ich liebe dich, was geht’s dich an“ und die nichts erwartet und sich selbst genügt. Die meisten Lieben aber beginnen mit einer gegenseitigen sexuellen Attraktion, die auch ausgelebt wird. Beim jungverliebten Paar ist ständig die Lust da, andauernd und ausdauernd fällt man übereinander her und durch die ständige Wiederholung entsteht der Eindruck, dass alles immer besser wird und dass es sich um Liebe handelt.
In der Natur der Sache liegt aber, dass das Begehren nach einiger Zeit abflacht, dass der Alltag einsetzt und im Laufe der Zeit die Lust aufeinander mit Kompromissen ausgehandelt werden muss. Wenn in dieser Anfangszeit nicht viel kommuniziert worden ist, man sich nicht über Befindlichkeiten, Wünsche, Lebensgeschichte austauscht, keine erotisch gefärbte Freundschaft entsteht, ist in den meisten Fällen ein Ende dieser „Liebe“ absehbar.
Ich glaube, um wahre Liebe zu erleben, braucht es ein Ausprobieren auch mit der Möglichkeit des Scheiterns. Es bedarf der Selbsteinsicht über die erworbenen und mitgegebenen eigenen Strukturen, um zu verhindern, dass wir uns auf Beziehungen einlassen, die immer wieder alte Muster aufgreifen, die eher toxisch sind. Es braucht schonungslose Offenheit, ohne Angst haben zu müssen, deshalb abgelehnt zu werden. Vielleicht müssen wir Teile von uns neu justieren und Kompromisse machen, um diese Vertrautheit auszuhalten. Wichtig finde ich auch, die individuelle Wirklichkeit der anderen Person zu respektieren, die von der eigenen abweichen kann.
Hilfreich sind gemeinsame Projekte, ob familiär oder beruflich, die eine Perspektive für eine gemeinsame Zukunft innehaben, und möglicherweise terminliche Festlegungen für eine gemeinsame geschützte Auszeit, um sich einander nahe zu bleiben. Ich kenne ein paar wenige Paare, die seit der Grundschule zusammen sind und schon immer wussten, dass sie ihr Leben miteinander verbringen werden. Aber das ist eher die Ausnahme.
Braucht es Aufklärung heute überhaupt noch?
Es hätte sie immer gebraucht und sie ist heute mindestens ebenso wichtig wie früher. Meist ist damit die Wissensvermittlung über Körperfunktionen gemeint, die hoffentlich schon ab dem Kindergarten altersentsprechend weitergegeben wird. In Institutionen wie der Schule passiert das nach Plan, im familiären Umfeld reicht es meiner Ansicht nach, auf Fragen Antworten zu geben.
Ich erinnere mich, im Alter von fünf Jahren meine Mutter gefragt zu haben: „Wo kommen eigentlich die Babys Thema Liebe 16 dialog No. 12 17 her?“ Wir waren regelmäßig auf einem FKK-Platz und so begann sie: „Du weißt ja, dass Männer und Frauen unterschiedlich aussehen…“, und schlagartig wusste ich, was ich wissen wollte. In diesem Moment das Thema zu vertiefen, wäre bestimmt nicht angemessen gewesen. Ich denke, auf eine kindliche Frage zu antworten und es dann dabei zu belassen, ist besser, als nun eine „Aufklärungsstunde“ zu beginnen und möglicherweise mehr zu erzählen, als das Kind in diesem Moment wissen möchte.
Bei meinen Eltern stand ein zweibändiges „Lexikon der Erotik“ und van de Veldes „Die vollkommene Ehe“ offen im Bücherregal und ich habe mir schon sehr jung einiges Wissen angelesen. Heute gibt es sehr gute „Aufklärungsbücher“ und wenn Eltern Hemmungen haben, mit ihrem Kind über diese Themen zu sprechen, kann man durchaus zu Beginn der Pubertät ein solches, von einer Buchhändlerin empfohlenes Buch aufs Kopfkissen legen.
Wie sollte Aufklärung heute aussehen?
Heutzutage ist es dazu gekommen, dass Kinder behutsam über die Gefahren des Internets aufgeklärt werden sollten. Schon Zehnjährige haben Zugriff aufs Netz und sie sollten wissen, dass die Welt da draußen nicht nur freundlich ist. Mit wenigen Klicks kann man auf pornografischen Seiten landen und ich habe von einem 13-jährigen Mädchen gehört, der ein gleichaltriger Mitschüler ein sogenanntes Dick-Pic geschickt hat.
Wie kann Liebe den sozialen Zusammenhalt stärken?
Wer liebt und/oder sogar geliebt wird, erfährt eine Erweiterung seiner selbst. Liebe macht empfänglich für Schwingungen, fördert Empathie und lässt die Welt nicht ganz so erschreckend erscheinen. Insofern hat Liebe eine Auswirkung nicht nur auf die von ihr Befallenen und stärkt uns und unser ganzes Umfeld.
Wann ist Liebe schädlich?
Wirkliche, wahre Liebe kann nicht schädlich sein. Wenn Schaden angerichtet wird, kann es sich nicht um Liebe handeln.
*Lilo Wanders hat die Antworten auf unsere Fragen schriftlich verfasst.
Weitere Themen
Abschied
Armut
Aufbruch
Wohnen
Zusammenhalt
Berührung
Ankommen
Einsamkeit
Lilo Wanders ist eine Kunstfigur mit einer erstaunlichen Karriere: 1989 erfand sie sich selbst für ein Theaterstück im von ihr mitgegründeten SCHMIDT-Theater in Hamburg, trat dann ab 1989 für knapp vier Jahre als Moderatorin in der „Schmidt-Mitternachts- Show“ in den dritten Fernseprogrammen auf und übernahm ab 1994 für mehr als zehn Jahre die Präsentation des Formats „Wa(h)re Liebe“. Lilo Wanders schreibt Bücher, spielt Theater, reist mit ihren Kabarettprogrammen durch die Republik und hat 2022 die Stiftung COME OUT! zur Stärkung junger queerer Menschen gegründet.