Text: Karl Grünberg; Foto im Titel: Benjamin Manley on Unsplash
Drei Alleinerziehende mit verschiedenen Hintergründen: Die eine hat einen Vollzeitjob, die andere bezieht Hartz-Vier, die dritte hat studiert. Sie eint, dass sie mit wenig Geld durch den Monat kommen müssen – und sich oft wie gefangen fühlen in einer Situation, die sie sich nicht ausgesucht haben.
Nora* stand im Supermarkt. Tee war im Angebot. Die Packung kostete sonst doppelt so viel. Trotzdem war sie immer noch teurer als die billigste. Nora überlegte. Nahm die Packung in die Hand, legte sie wieder ab, nahm sie wieder in die Hand, wägte ab. „Gönn ich mir den jetzt oder nicht? Kann ich mir das leisten oder nicht“, sagt Nora. Sie hat ihn sich gegönnt. Ihre Kinder waren begeistert. Der Tee war ruckzuck alle. Die Kinder baten Nora, noch so einen Tee zu kaufen. „Bitte, Mama“, sagte sie, so wie Kinder eben bitten können, wenn sie etwas wollen. „Ich konnte nicht Ja sagen“, erinnert sich Nora. Vielleicht im nächsten Monat, tröstete sie die beiden.
Alleinerziehend sein ist ein Armutsrisiko
Nora ist eine von drei alleinerziehenden Müttern, die in diesem Artikel davon berichten, was es mit ihnen macht, kein Geld zu haben. Diese Mütter arbeiten, sie befinden sich in Ausbildung oder beziehen Arbeitslosengeld II. Sie vereint, dass sie sich in einer Situation wiederfinden, die sich wie gefangen anfühlt. Dabei hat jede von ihnen eigene Wege und Strategien gefunden, damit umzugehen.
Rund 1,5 Millionen Allerziehende gibt es in Deutschland. 1,34 Millionen davon sind Frauen, 185.000 sind Männer. Von diesen Alleinerziehenden gelten 43 Prozent als einkommensarm, wie eine Erhebung der Bertelsmann Stiftung feststellte. Krasser formuliert: Alleinerziehend sein ist ein Armutsrisiko. Gleichzeitig arbeiten 71 Prozent aller alleinerziehenden Eltern. Dennoch reicht es bei vielen nicht, um zu überleben. Also stocken sie mit Hartz IV auf.
Alexandra hat einen Vollzeitjob. Sie arbeitet als Prozessmanagerin in einer mittelgroßen Firma in Berlin und verdient eigentlich gut. Doch mit drei Kindern, die sie ohne Unterstützung und alleine großzieht, kommt sie häufig an ihre Grenzen. „Ich spare vor allem an mir“, sagt sie. Zu viert wohnen sie in einer „winzigen Wohnung“. Ihre Kinder haben ihre eigenen, kleinen Zimmer, nur sie nicht. Abends zieht sie die Couch aus, macht sich daraus ihr Bett, seit zehn Jahren schon. Der Rücken leidet, doch das muss sie hinnehmen. Alexandra fährt nicht in den Urlaub, kauft sich kaum neue Dinge. Ihr jüngstes Kind geht noch in die Kita, ihr ältestes hat mit dem Studium begonnen – in eine eigene Wohnung ziehen komme aber nicht in Frage. „Ich kann nicht für unser und für ihr Leben zahlen. Das geht leider nicht. Und Bafög wäre bei den Mieten nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Alexandra hat ihr Geld bis auf den letzten Euro durchgeplant
Um dennoch die Kinder durch den Monat zu bringen, hat Alexandra ihre Finanzen bis auf den letzten Euro durchgeplant. Sie verfährt nach dem Sechs Konten-Modell, auf das sie ihr Gehalt aufteilt. Miete und laufende Kosten sind das eine, dann kommt der Lebensunterhalt, dann der Posten für die Kinder, der für die Reparaturen, fürs Sparen, für andere Ausgaben. Wenn ein Topf alle ist, ist er alle. Nur ihre Kinder sollen von alldem so wenig wie möglich mitbekommen. Also organisiert Alexandra statt teurer Ausflüge, kostenlose Alternativen. Statt in den Zoo geht es in Parks mit angeschlossenem Streichelgehege, die sind kostenlos, und statt ins Schwimmbad fahren sie an den See.
Jemand wie Alexandra fällt durch die Raster staatlicher Hilfe. Da sie arbeitet, steht ihr keine Unterstützung bei Schulbüchern, bei Klassenfahrten oder bei den Kosten für den Vereinssport zu. Also bezahlt sie, was geht. Andersrum fragen ihre Kinder kaum nach Geld. Ihr großes Kind hatte sich schnell Schülerjobs zugelegt, Zeitungsaustragen, in einem Hotel jobben, um sich selber was leisten zu können. Manchmal aber kommt ihr Geldmangel doch zur Sprache. Wenn die Kinder bei anderen Kindern waren, die einen Garten haben, ein großes Zimmer, die neuesten Sachen, wenn die Unterschiede sich nicht mehr verdecken lassen.
So wie Alexandra spricht, durchorganisiert, standhaft, vergisst man, dass sie sich neben ihrer Vollzeitarbeit auch noch alleine um den Haushalt und ihre Kinder kümmert. In dem Gespräch geht es nie um sie selbst, was sie möchte oder sich wünscht, sondern immer nur darum, wie der Dampfer Familie auf Kurs gehalten werden kann. Helfen würde ihr, sagt sie, wenn es zum Beispiel Vergünstigungen für Alleinerziehende gäbe, in den Vereinen oder beim Eintritt.
Ich stecke im System fest
Nora aus Trier wiederum würde gerne arbeiten. Doch sie findet keinen Arbeitgeber, der ihre Rahmenbedingungen toleriert. „Ich habe zwei Kinder, beide sind autistisch behindert und haben einen erhöhten Betreuungsbedarf“, sagt sie. ihren Kindern hatte Nora als Verkäuferin gearbeitet. Als sie mit ihren Kindern niemand mehr einstellen wollte, ließ sie sich zur selbstständigen Werbetexterin weiterbilden, „ich war sogar ziemlich erfolgreich und hatte hochkarätige Auftraggeber“. Doch der Arbeitsaufwand war so immens, dass sie beides nicht mehr organisiert bekam: Kinder und Arbeit. „In dieser Situation blieb mir nur noch Hartz IV und seitdem stecke ich im System fest“, sagt sie.
Im System feststecken bedeutet, dass das System einen beschäftigt hält, so beschreibt es Nora. Wenn die Kinder an der Klassenfahrt teilnehmen sollen, muss sie einen Antrag über das Paket Bildung und Teilhabe bei der Kreisverwaltung stellen. Für das Wohngeld für ihre Kinder muss sie wieder woandershin. Geht ihr etwas kaputt, der Herd, die Waschmaschine, muss sie wiederum einen Antrag beim Jobcenter stellen.
„Im Regelsatz gibt es für den Neukauf einer Waschmaschine 1,60 Euro im Monat. Das müsste ich ansparen, um mir dann nach zehn Jahren eine neue Waschmaschine für 180 Euro zu kaufen“, sagt sie. Was natürlich unrealistischist. Also bleibt nur noch: Darlehen beim Jobcenter beantragen, dafür behält das Jobcenter zehn Prozent des Regelbedarfs ein.
„Ich habe mir eine Liste erstellt, damit ich keinen der vielen verschiedenen Antragstermine verpasse, damit mir nicht in der Mitte des Monats das Geld ausgeht“, sagt sie. Trotzdem passiert das immer wieder. Dann muss sie Rechnungen hin und her schieben, muss bei sich und ihrer Ernährung sparen. Wenn es Abendbrot gibt, macht sie den Kindern etwas. Wenn die Kinder sie fragen, was mit ihr ist, sagt sie, dass sie schon gegessen hat.
Spricht man länger mit Nora, hört man heraus, dass sie wütend ist über die ganze Situation. Es ist nichts, was sie sich ausgesucht hat, nichts, was sie sich wünscht, dennoch kommt sie da nicht heraus. „Mich ärgert, dass ich als Hartz-IV-Bezieherin in der Gesellschaft als faul gelte. Ich bin nicht faul“, sagt sie. Nora gibt einen Newsletter heraus, in dem sie Tipps gibt, wie man günstig und gut kocht und wie man leben kann, ohne viel Geld auszugeben. Auch in den sozialen Medien hat sie sich eine kleine Anhängerschaft aufgebaut.
Manchmal schreibt sie über ihre Lebenssituation. Über die Sache mit dem Tee zum Beispiel. Auf einmal hatte sie ein Paket mit ganz viel Tee im Briefkasten. Gespendet. „Es ist so schön, zu spüren, dass ich nicht isoliert bin“, sagt sie. Eine Freundin wiederum bestellt für sie Medikamente, die sie sich selbst nicht leisten kann. „Doch davon darf das Jobcenter nichts wissen, sonst würde mir das vom Regelsatz abgezogen werden“, sagt Nora. In diesem täglichen Kampf um ihre Existenz fehlt ihr die Arbeit und die Wertschätzung, die daraus resultiert. Um einen kleinen Ausgleich zu haben, hilft sie ehrenamtlich bei der Tafel aus und bringt Lebensmittel zu anderen, Bedürftigeren an die Haustür.
Bei Sarah wiederum war es eine Kette von Umständen, die sie aus der Bahn geworfen hat. Erst vereinbarte sie mit ihrem Mann, dass er sich auf die Karriere konzentrieren sollte und sie auf das Kind. Als sie dann anfangen wollte zu studieren, war er dagegen. Sie ließen sich scheiden. Die Richterin bestimmte, dass er ihr für die Dauer ihrer Regelstudienzeit Unterhalt zahlen sollte, was er auch tat. Doch dann, kurz vor Schluss, bekam sie Krebs. „Mein ganzes Leben, meine ganze Planung war auf einmal völlig aus der Bahn geworfen“, sagt sie.
Nun zählte Zähne zusammenbeißen und überleben
Sarah kämpfte, 16 Chemos durchlitt sie. Am Ende wurde sie wieder gesund, doch die Regelstudienzeit und damit die Unterstützung waren dahin. „Ich hatte das große Glück, dass mir meine Familie für das Allernötigste zur Seite stand“, sagt sie. Dennoch war es eine absurde Situation. Sie lebte in einer schönen Altbauwohnung in einem angesagten Viertel, ihr Kind ging hier zur Schule, hatte hier seine Freunde. Sarah tat so, als ob alles in Ordnung wäre. Dabei war nichts in Ordnung. All das Selbstverständliche, das Auto, ins Theater gehen, einen Kaffee trinken, in den Urlaub fahren, die Jahreskarte für den Zoo, „das ging nicht mehr. Nun zählte Zähne zusammenbeißen und überleben“, sagt sie. Gleichzeitig fühlte sie sich in dieser Abhängigkeit zu ihrer Familie nicht wohl. „Ich war doch selber Mutter und verantwortlich für ein anderes Leben.“ Sarah schaffte das Studium. Nun beginnt das Referendariat. Sie ist immer noch alleinerziehend, immer noch ist das Geld knapp. Aber es ist ihr eigenes.