Ellbogen statt Solidarität?

Ein Gastbeitrag von Manni Breuckmann

Foto: Jeffrey F Lin auf Unsplash

Es ist allgemein bekannt, dass ich als langjähriger Fußballreporter die Welt ausschließlich in Fußball-Kategorien begreifen kann. Größere Flächen müssen mir anhand von Fußballfeldern erklärt werden, Zeitvorgaben werden mit der Länge von Fußballspielen verglichen. Und wenn ich mal irgendwo eingeladen bin, gibt es selbstverständlich Currywurst, weil die Gastgeber glauben, dass ich mich ausschließlich von Bratwurst und Sauce aus‘m Eimer ernähre.

Natürlich fällt mir zum Thema Solidarität auch als erstes ein Beispiel aus dem Fußball ein, mit einer positiven und einer negativen Seite. Der Verein, der mir nahesteht, heißt Schalke 04. Schalke krebst in dieser Saison im unteren Drittel der 2. Bundesliga herum. Die Fans unterstützen den Club im Stadion, bei jedem Spiel sind 60 000 vor Ort, das ist vorbildlich und solidarisch. Aber im Internet kloppen sie sich wie die Kesselflicker zu der Frage, wer der Schuldige an der Misere ist. Absolut unsolidarisch.

Wir leben in Zeiten des großgeschriebenen ICH

Nun ist Fußball nicht unbedingt der typische Ort, an dem die Solidarität überlebenswichtig sein kann. Da gibt es andere wichtige Bereiche. Als Kind des Ruhrgebiets denke ich zum Beispiel an die Solidarität der Bergbau-Kumpels; unter Tage konnte (und musste) sich jeder auf den anderen verlassen. Denn es war eine gefährliche Arbeit, wo schon so mancher durch den Einsatz seiner Kollegen überlebt hat.

Ohnehin ist die Solidarität in der Arbeitswelt ein wichtiges Mittel, um Forderungen nach mehr Lohn und Verbesserung der Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Aber wir leben in den Zeiten des ganz groß geschriebenen ICH.

Die Kirche als Werte-Vermittlerin

Der Zusammenschluss mit anderen zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele ist nicht mehr der Normalfall. Viele verlassen sich nur auf sich selbst und auf ihren brachial eingesetzten Ellbogen. Eine Partei wie die FDP nennt das sehr feinsinnig „Eigenverantwortung“. In der Arbeitswelt wird das dann gerne noch durch die Behauptung ergänzt, dass wir doch letztlich alle in einem Boot säßen und daher „Sozialpartner“ seien.

Gott sei Dank sitzen die Schwachen in unserer Gesellschaft nicht ganz auf dem Trockenen. Unsere Sozialsysteme sind vorbildlich, und es gibt es noch genug Beispiele für Solidarität als Akt der Unterstützung für die Schwächeren. Wie in diesem Heft nachgelesen werden kann.

Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass Solidarität und Barmherzigkeit keine Grundeigenschaften des Menschen sind. Sie müssen ihm durch Erziehung, durch Leitbilder und durch gute Beispiele nähergebracht werden. Das ist eine wichtige Aufgabe für die Kirchen in ihrer Rolle als Werte-Vermittlerinnen. Dafür schätze ich sie sehr.

Leider sind beide Kirchen in der Vergangenheit durch eine abartige Interpretation von Solidarität aufgefallen, indem sie nämlich Sexualstraftäter in ihren Reihen vor Verfolgung schützten. Das war ein schwerer Sündenfall, der unermesslich viel Vertrauen und Glaubwürdigkeit gekostet hat. Es wird dauern, bis die christlichen Kirchen diese Schatten loswerden und sich wieder unbelastet der Förderung von Solidarität und Nächstenliebe widmen können.

Foto: Susanne Gröger

Manni Breuckmann wurde 1951 in Datteln geboren. Er hat Rechtswissenschaft in Bochum und Marburg studiert. Damals begann er nebenbei im Radio Fußballspiele zu kommentieren. Seine erste Übertragung war das Regionalligaspiel Wattenscheid gegen Neuss am 7. Mai 1972. 

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