Die Menschen in Deutschland sind gespalten bei der Frage, wie Frieden geschaffen werden kann: mit Waffen? Oder ohne? Eine moralische Instanz, die einem Orientierung in solchen ethischen Fragen gibt, ist dabei seit jeher die Kirche. Aber auch in der evangelischen Kirche gibt es unterschiedliche Ansichten darüber, wie Frieden erreicht werden kann. Ein Streitgespräch zwischen zwei Pfarrern, dem Friedensaktivisten Dr. Matthias-W. Engelke und Militärdekan Dr. Roger Mielke. (Foto: privat, John Tyson on unsplash)
Engelke: Ich bin erschrocken, dass man jetzt erst über den Krieg erschrocken ist. Es gab seit den 1990ern die Balkankriege, die Golfkriege, Afghanistan. Im Grunde genommen haben wir einen andauernden 30- oder 40-jährigen Krieg der Moderne, an dem sich nur die Schauplätze ändern. Dass wir jetzt so auf die Ukraine schauen, zeigt nur die Gleichgültigkeit gegenüber den Kriegen, die es vorher gegeben hat.
Mielke: Ich glaube leider auch, dass wir ein Zeitalter tiefer Konfrontationen erleben. Und es ist viel komplexer geworden, es gibt nicht mehr die zwei Blöcke wie noch zur Zeit des Kalten Krieges, sondern einen neuen Konflikt- Pluralismus. Der Pazifismus der 1980er Jahre war wichtig, dieses klare Bekenntnis zur Friedfertigkeit hat zum Beispiel zur internationalen Abrüstung einen wichtigen Beitrag geleistet. Aber jetzt braucht es neue Wege.
Mielke: Der Lebensstil der Gewaltfreiheit ist ja erstrebenswert, der Pazifismus ist für die Kirche ungemein wichtig und auch die Gesellschaft braucht ihn. Aber er muss sich immer mit den politischen Realitäten auseinandersetzen. Es geht darum, immer in der politischen Diskussion die gewaltärmste Option zu finden.
Engelke: Wer will das nicht verstehen? Das ist ja menschlich. Die Frage ist, ob man das mit tötender Gewalt macht. Ich frage mich: Soll mein Sohn sein Leben dafür geben, dass ein Quadratmeter russisch oder ukrainisch ist? Ich meine, dass das nicht nötig ist. Ich meine, dass man grundsätzlich viel mehr auf zivilen Widerstand, soziale Verteidigung setzen sollte. Es gibt Beispiele in der Geschichte, wo das funktioniert hat. Bei der Ruhrbesetzung durch Frankreich zum Beispiel, als passiver Widerstand. Dänemark, als es von Deutschland besetzt wurde, hat keinen Widerstand geleistet. Und ist dadurch nicht zerstört worden; stattdessen konnten Tausende Juden gerettet werden. Und ja: Flucht ist durchaus auch eine Option – wir haben dafür biblische Vorbilder …
Mielke: Wollen Sie im Ernst sagen, dass wir die Wurzeln ins Politische kappen sollen und uns in eine kleine Gemeinschaft der Selbstgerechten begeben sollten? Wir können doch nur was ändern, wenn wir im Dialog bleiben. Außerdem gibt es auch im Neuen Testament schon die Spannungen zwischen Gewaltfreiheit und Staatlichkeit. Und auch der deutsche Protestantismus ist nie den Weg der radikalen Gewaltfreiheit gegangen.