In einer Gegenwart, in der Krieg den Ton angibt, ist es nicht so einfach, darüber zu reden, wie Frieden zu erreichen ist. Autor Thomas Becker macht sich im Gespräch mit Friedens- und Konfliktforscherin
Susanne Buckley-Zistel auf Spurensuche in einer krisengeschüttelten Welt.
Grafik: m23 Fons Hickmann
Gespräch: Thomas Becker
Buckley-Zistel:
Der Satz von Cicero wurde vor rund 2.000 Jahren in einer Zeit geäußert, in der Krieg selbstverständlicher, normaler und akzeptierter war. Ihm zugrunde liegt die Vorstellung, dass sich Krieg durch Abschreckung vermeiden ließe und so Sicherheit zu erreichen sei. Die Friedens- und Konfliktforschung geht heute aber meist von einer anderen Vorstellung aus: Es geht darum, Kooperationen zu fördern, Akteur*innen auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene zusammenzubringen und auch internationale Organisationen einzubinden, um Strukturen zu schaffen, die für Frieden sorgen und ihn nachhaltig sichern.
Buckley-Zistel:
Wenn das der Fall ist, kommt das Konzept der Schutzverantwortung zum Tragen – ein Konzept, das von den Vereinten Nationen seit 2006 völkerrechtlich verbindlich formuliert wurde. Es kommt zur Anwendung, wenn ein Staat, in dem Verbrechen wie Völkermord oder ethnische Säuberungen verübt werden, nicht in der Lage ist, seine Bürger*innen zu schützen. In diesem Fall stehen der internationalen Staatengemeinschaft nach der Charta der Vereinten Nationen zivile und militärische Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat entscheidet. Wenn wir uns allerdings anschauen, wie viele Menschenrechtsverletzungen in den vergangenen beiden Jahrzehnten begangen wurden, müssen wir feststellen, dass der Aspekt der Abschreckung nichtig ist. Denn die Androhung von Gewalt durch die internationale Staatengemeinschaft hat bisher nicht dazu geführt, dass weniger Menschenrechtsverbrechen begangen oder weniger Kriege geführt wurden.
Buckley-Zistel:
Dazu gibt es verlässliche Daten der Universität Uppsala, die Kriege seit 1946 erfasst hat. Da lassen sich einige Tendenzen erkennen: Während des Kalten Krieges war die Welt aus einer eurozentristischen Sicht eher ruhig – wobei es in vielen Ländern wie Afrika und Asien sogenannte Stellvertreterkriege gab, die natürlich auch von innerstaatlichen Konflikten angetrieben wurden. Mit Ende des Ost-West-Konflikts im Jahr 1989 und dem Triumph des Liberalismus gab es die Hoffnung, dass die Welt ein friedlicher Ort werde. Schon in den 1990er-Jahren wurden wir allerdings durch den Balkankrieg, den Völkermord in Ruanda und viele andere blutige Kriege vor allem in Subsahara-Afrika auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Diese Kriege wurden zu Beginn der 2000er-Jahre zum Teil befriedet. Spätestens mit dem Arabischen Frühling 2010 haben wir jedoch wieder eine stark ansteigende Konfliktkurve. Hervorzuheben sind die Kriege in Syrien seit 2011 und im Jemen seit 2015, die nach wie vor virulent sind. Mit dem Krieg in der Ukraine haben wir zudem einen ganz neuen Schauplatz.
Buckley-Zistel:
Ja, aber es könnte auch zum Gegenteil führen. Mir ist wichtig zu betonen, dass in der Diskussion um Krieg und Frieden einmal ganz anders argumentiert wurde. Der Gedanke der Abrüstung war in Deutschland lange Konsens und lag der internationalen Politik als Strategie zugrunde, um Frieden nachhaltig zu sichern. Das ist eine gesellschaftliche Errungenschaft. Klar ist auch: Stärkere kriegerische Aktivitäten führen zunächst einmal zu einem höheren Maß an Gewalt. Andererseits sehen wir mit Blick auf die Ukraine, dass viele herkömmliche Ideen der Friedens- und Konfliktforschung nicht mehr passen. Kolleg*innen mit einem eher real- und sicherheitspolitischen Blick beherrschen aktuell den Diskurs. Die Frage ist: Wem hören Politiker*innen zu? Suchen sie sich Konfliktforscher*innen, deren Ansichten passen, um die Politik zu legitimieren, die sie machen wollen?
Buckley-Zistel:
Schon, aber wir wissen aktuell nicht, was zum Frieden in der Ukraine führt. Das ist etwas, das mich umtreibt. Vielen geht es ähnlich. Andererseits kann es nicht sein, dass wir den Mund halten. Aktuell ist es nicht einfach, zu wissen, was richtig ist. Vielleicht bringt uns die verdeckte Mediation weiter. Sie dient dazu, eine Lösung für einen Frieden zu finden, mit der Staatschefs ihr Gesicht nicht verlieren und nach außen stark auftreten können. Ich weiß nicht, ob Putin da mitmacht. Aber in Afghanistan wurde viel im Verborgenen mit den Taliban verhandelt. Ich hoffe, dass Verhandlungen in der Ukraine zu einem guten Ende führen, damit dieser fürchterliche Krieg ein Ende findet.
Buckley-Zistel:
Meine Perspektive ist eine gesellschaftliche, nicht so sehr eine institutionell- politische. Es gibt viele Studien dazu, dass Gesellschaften mit dem Vermächtnis von Krieg und Gewalt zurechtkommen und Menschen Ressourcen haben, wieder aufzustehen, wenn sie eine Möglichkeit sehen, positiv in die Zukunft zu schauen. Dazu müssen grundlegende Bedingungen gegeben sein. Wenn Krankenhäuser, Schulen und Straßen und die Infrastruktur repariert werden, gelingt es Menschen in Nachkriegsgesellschaften eher, wieder an ein normales Leben anzuknüpfen Menschen, die von Gewalt betroffen waren und unter körperlichen Versehrungen sowie Traumatisierungen leiden, brauchen zudem Unterstützung, um diese Schwierigkeiten bewältigen zu können. Gleichzeitig müssen Radikalität, Extremismus und Feindschaften abgebaut werden. Das wird häufig unter dem Begriff Vergangenheitsaufarbeitung gefasst. Und da geht es darum, eine Brücke zu ehemaligen Gegnern zu schlagen. Das ist von besonderer Bedeutung, wenn verfeindete Gruppen im gleichen Land leben, was nicht zwingend der Fall sein muss. Aber das Wichtigste ist, das zeigen Studien in Flüchtlingslagern: Wenn es nicht am Nötigsten fehlt, gelingt es Menschen, sich wieder aufzurichten. Oft geht es um die Sicherung von Grundbedürfnissen, damit man durchatmen und überlegen kann: Wo ist meine Familie? Wo sind die, die mir Halt geben? Das ist kein Garant dafür, dass Menschen in Nachkriegsgenerationen wieder auf die Beine kommen. Aber es macht es etwas einfacher.
Buckley-Zistel:
Beim Übergang zum Frieden in Nachkriegsgesellschaften ist das von immenser Bedeutung. Männer und Frauen erfahren Krieg häufig aus unterschiedlichen Perspektiven, vor allem in Ländern mit eher traditionellen Geschlechterrollen. Männer sind oft Kombattanten, während sich Frauen zu Kriegszeiten um Hof und Kinder kümmern. Nach einem Krieg benötigen diese Männer zunächst einmal eine Erwerbstätigkeit, damit sie eine Familie ernähren, einen bestimmten Status wiedererlangen und an ihr altes Leben anknüpfen können. Frauen wiederum, deren Männer gefallen sind, haben oft eine Doppelbelastung. Sie sind Haushaltsvorstehende und kümmern sich um das Einkommen und die Familie. In vielen Fällen benötigen sie eine monetäre Entschädigung. Vor allem in ärmeren Regionen ist das ein großes Thema.
Buckley-Zistel:
Ja, seit den 1990er-Jahren wurden in Nachkriegsgesellschaften verschiedene Strategien der Friedensförderung und Friedensmissionen von den Vereinten Nationen, aber auch anderen Akteur*innen umgesetzt. Da gibt es ganze Pakete an Maßnahmen – von politischen Reformen über Projekte zur Aufarbeitung der Vergangenheit bis hin zu ökonomischer Liberalisierung. Man kann die Ansätze unterteilen in Maßnahmen, die sich vor allem um die Sicherheit, um politische Reformen oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt bemühen. Diese Ansätze wurden vor allem in den 1990er- und 2000er-Jahren praktiziert. Inzwischen hat sich gezeigt, dass sie nicht so erfolgreich waren, wie ursprünglich erwartet und erhofft. Denn sie stoßen auf Kontexte und gewachsene Strukturen, die nicht unbedingt mit Strukturen von Ländern im Einklang stehen, in denen die Ansätze erdacht wurden. Im Moment ist die Idee eher, einen Hybridansatz zu verfolgen – also liberale Vorstellungen von Frieden und politischer Partizipation mit Ideen zu vereinen, die mehr aus den Nachkriegsgesellschaften selbst kommen. Es gibt zahlreiche Länder, in denen das durch Intervention der Vereinten Nationen praktiziert wurde – von Sierra Leone über Ruanda, Uganda, Mozambique, Angola bis zu Kambodscha. Aber das sind nicht alles Positiv-Beispiele, es gibt auch Probleme bei der Umsetzung. Dennoch herrscht in diesen Ländern wieder Frieden.
Buckley-Zistel:
Ich habe lange in Ruanda gelebt. Das Land wird aktuell durch eine sehr harte Hand des Regenten regiert. Aber auf gesellschaftlicher Ebene gibt es viele friedenspolitische Projekte zwischen Dörfern und Haushalten sowie Kommunen und Gemeinden. Manche richten sich an Frauen, andere an Jugendliche und Kinder oder verschiedene ethnische Gruppen. Durch gemeinsames Lernen oder gemeinsame Unternehmungen wird beispielsweise versucht, Vorurteile ab- und Vertrauen aufzubauen, um alte Feindbilder zu überholen. Das kann durchaus sehr erfolgreich sein. Manche Projekte halten wiederum nicht, was sie versprechen. Sind sie deshalb überflüssig? Was wäre, wenn es solche Projekte nicht gäbe? Wäre die Situation dann besser oder schlechter? Vielleicht ist es der stete Tropfen, der den Stein hölt.
Buckley-Zistel:
Unser Blick auf Weltregionen ist oft geprägt von einem bestimmten Bild. Beim genaueren Hinsehen stellt man allerdings fest, dass beispielsweise in der Subsahara-Region nicht mehr so viele gewaltsame Konflikte brennen, wie das in den 1990er- und 2000er-Jahren der Fall war. Wichtig ist zudem anzuerkennen, dass es sich bei vielen Regionen, in denen Konflikte virulent sind, um ehemalige Kolonien Europas handelt. Das koloniale Vermächtnis hat seine Spuren hinterlassen. Teilweise wurden Gesellschaften durch eine Kolonialpolitik, als divide et impera bezeichnet, künstlich gespalten, um sie von Europa aus besser regieren zu können. Das hat bis zum heutigen Tage – und hier ist Ruanda ein gutes Beispiel – zu ökonomischen und politischen Disparitäten geführt. Zwar ist da der Kolonialismus schon eine ganze Weile her, aber auch heute erleben wir starke globale Asymmetrien. Wir sehen beispielsweise, wie ausbleibende Getreidelieferungen der Ukraine Hungersnöte in ärmeren Ländern auslösen, wie das Gesellschaften unter Stress setzt und Möglichkeiten für Politisierungen innerhalb der Gesellschaft schafft. Gewaltsame Konflikte außerhalb Europas sind daher auch immer auf ihre kolonialen Verflechtungen und anhaltenden postkolonialen Hierarchien hin zu untersuchen.
Buckley-Zistel:
Über liberale, demokratische Strukturen und Systeme auf Nationalstaatsebene sowie auf Ebene der Europäischen Union haben wir die Möglichkeit, Konflikte ins Parlament zu verlegen. Wir müssen sie nicht auf dem Schlachtfeld austragen. So wurde die europäische Friedensordnung 2012 mit dem Friedensnobelpreis für die EU gewertschätzt. Dass die EU auch gleichzeitig eine Festung ist, die ihre Außengrenzen verteidigt, ist davon nicht losgelöst zu betrachten und wirft einen Schatten auf unseren europäischen Frieden.
Susanne Buckley-Zistel ist Professorin für Friedens- und Konfliktforschung am Zentrum für Konfliktforschung der Philipps-Universität Marburg. Seit mehr als zwei Jahrzehnten forscht sie unter anderem zu innerstaatlichen Konflikten und zur Friedenskonsolidierung. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt auf Afrika.
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