Isolation
Anfang 2018 wurde in Großbritannien das Thema Einsamkeit erstmals in einem Ministerium verankert. Seit November 2018 ist die konservative Politikerin Miriam Jane Alice „Mims“ Davies Ministerin für Sport, Zivilgesellschaft und Einsamkeit. Im Interview spricht sie über Einsamkeit in Großbritannien und was die Regierung dagegen tut.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vor einem Jahr hat die britische Regierung erstmals eine Ministerin für Einsamkeit ernannt. Damit hat Großbritannien als erstes Land weltweit dem Thema eine solche Bedeutung gegeben. Ist das britische Volk einsamer als andere Nationen? Und gibt es Gruppen, die einsamer sind als andere?
Einsamkeit ist eine der größten Herausforderungen, denen unser Land gegenübersteht. Sie ist ein sehr komplexes Problem, und jeder kann damit konfrontiert werden, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Herkunft. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Einsamkeit Menschen das Gefühl vermitteln kann, isoliert und ganz unten zu sein. Auch das Selbstwertgefühl leidet in hohem Maß. Aber das Ganze ist nicht nur in Großbritannien ein Problem. Die vielen Briefe und E-Mails, die uns aus anderen Ländern erreicht haben, zeigen, dass Einsamkeit international ein Problem ist.
Man müsste glauben, dass man gegen Einsamkeit eher etwas auf einer individuellen Ebene unternehmen kann. Warum muss sich eine Regierung darum auf nationaler Ebene kümmern?
Einsamkeit ist natürlich ein sehr persönliches Problem, doch wir brauchen eine Diskussion auf nationaler Ebene, um das Bewusstsein für dieses Problem zu steigern, den Makel zu reduzieren und den Menschen dabei zu helfen, zu verstehen, dass sie in ihrer Einsamkeit nicht allein sind. Darum ist die Arbeit der Regierung so wichtig. Wir schaffen für die Menschen mehr Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen, und ermutigen ausdrücklich Junge und Alte, es auch zu sagen, wenn sie sich isoliert fühlen und Unterstützung brauchen.
Im Oktober 2018 hat die britische Regierung die erste Strategie gegen Einsamkeit ins Leben gerufen. Was sind denn die wichtigsten Punkte dieser Strategie?
Aus unserem 11,5 Millionen Pfund umfassenden Fond für die Knüpfung von Kontakten haben wir 126 Projekte unterstützt, die Tausenden Menschen und Verbänden überall im Land zugutekommen. Der Fond ist sehr breit aufgestellt. So kann er unmittelbar Projekte unterstützen, die auf vielfältige Weise mit vielen unterschiedlichen Gruppen arbeiten. Von diesen Projekten möchten wir möglichst viel lernen. Aus den Bewerbungen haben wir solche ausgewählt, die den Zielen des Fonds am nächsten kommen: den Menschen zu helfen, nachhaltige Beziehungen zu knüpfen, lokale Gruppen und Dienste in Anspruch zu nehmen und die Datenbasis rund ums Thema Einsamkeit zu verbessern.
Beispiele von geförderten Projekten sind Fahrdienste für Menschen, die in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, oder digitale Technologien, die Menschen ermöglichen, sich online miteinander in Verbindung zu setzen. Auch gefördert wird die Ausweitung bereits bestehender Programme, in denen Sport, Kunst oder Musik es Menschen ermöglichen, Kontakte zu knüpfen.
Wir werden außerdem sicherstellen, dass alle Hausärztinnen und -ärzte in England bis 2023 in der Lage sind, Patientinnen und Patienten, die unter Einsamkeit leiden, auf Gemeinschaftseinrichtungen und Freiwilligendienste hinzuweisen. Die Ärzte können dann Patienten Aktivitäten wie Kochgruppen, Wandergruppen oder Kunstgruppen vermitteln, damit Gesundheit und Wohlbefinden steigen. Ich habe viele Jahre meine Eltern mitbetreut und weiß daher aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, unter Menschen zu kommen. Mein Vater hat sich bei Kunstprojekten eingebracht und sich dadurch wirklich weniger einsam gefühlt.
Aber natürlich können sich die Menschen auch am Arbeitsplatz einsam fühlen. Daher haben wir eine Reihe von nationalen und globalen Unternehmen dazu bringen können, eine Selbstverpflichtung zu unterschreiben. Dazu gehören Sainsburys, Co-op, das britische Rote Kreuz und der öffentliche Dienst. Sie haben sich verpflichtet, Maßnahmen zur Unterstützung von Gesundheit und Wohlbefinden ihrer Beschäftigten zu treffen. Das halte ich für äußerst wichtig – Arbeitsstelle und Arbeit an sich sind ja ein bedeutsamer Teil unseres Lebens.
Die Premierministerin hat diese Strategie als eine „Mission zur Beendigung von Einsamkeit in unserem Leben“ beschrieben. Ist das wirklich ein realistisches Ziel? Oder wie würden Sie Ihren Erfolg messen?
Wir wissen, dass Einsamkeit ein normales menschliches Gefühl ist. Wie Hunger kann es ein Warnsignal sein: Du musst etwas tun. Wenn aber Menschen anfangen, sich ständig einsam zu fühlen, kann das schwerwiegende Konsequenzen für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden haben. Was wir also tun müssen, ist Folgendes: Wir müssen die Zahl der Menschen verringern, die oft einsam sind, und ihnen helfen, schneller aus ihrer Einsamkeit herauszukommen.
Als Erstes möchten wir die Menschen dazu bringen, sich ihrer Einsamkeit zu stellen und zuzugeben, wenn sie einsam sind. Berichte über Einsamkeit werden also zunächst zunehmen. Das haben wir bei unserer Strategie im Auge. Unseren Erfolg werden wir zunächst in drei Bereichen überprüfen: Verringerung der Stigmatisierung und Bewusstseinsschärfung; Verbesserung des Nachweises, wie unsere Maßnahmen wirken; Sicherstellung, dass das Thema Einsamkeit immer auf der Tagesordnung der Regierung steht, wenn es um neue politische Entscheidungen geht.
Internationale Medien haben sich darüber lustig gemacht, dass der Brexit eine ganze Nation einsam mache. Aber ernsthaft nachgefragt: Hat der Brexit Auswirkungen auf das Thema Einsamkeit in der britischen Gesellschaft?
Ich glaube, unsere Pläne zum Umgang mit dem Thema Einsamkeit sind in der Öffentlichkeit auf große Resonanz gestoßen. Die Reaktionen, die wir bekommen haben, waren äußerst positiv. Wir haben Hunderte von E-Mails erhalten, die uns unterstützen, auch solche aus der ganzen Welt. Unser Einsatz für Menschen, die sich einsam fühlen, wird eine Wende bringen. Das hat mit dem Brexit nichts zu tun.
Ministerin Davies, wir danken Ihnen
für das Gespräch.