Mit viel Fingerspitzengefühl
Manche Menschen, die das erste Mal in die zentren plus kommen, haben seit Jahren mit niemandem gesprochen. Sie müssen oft erst wieder lernen, mit anderen in Kontakt zu treten.
„Das zentrum plus? Ein Segen, ein Segen.“ Marga Hellmanns ist alte Benratherin, im Düsseldorfer Süden verwurzelt. Gemeinsam mit ihrem Mann, mit dem sie 46 Jahre verheiratet war, war sie in vielen Vereinen aktiv. Da steht das soziale Netz, mag man meinen. Aber als ihr Mann vor zehn Jahren starb, brachen viele Freundschaften weg, erzählt sie. Kinder hat sie keine. Und so kam die Einsamkeit.
Marga Hellmanns hatte aber zumindest noch die Energie, es dabei nicht zu belassen. „Ich konnte doch nicht einfach zu Hause versauern.“ Und so ging sie ins nahe gelegene zentrum plus der Diakonie. Die Beratungs- und Begegnungszentren sind seit elf Jahren in Düsseldorf für Seniorinnen und Senioren da. Für Marga Hellmanns war das in der Tat ein Segen. „Was man da alles machen kann, ist unbeschreiblich.“ Vom Stadtteilfrühstück über die Handarbeitsgruppe „Woll-Lust“ bis hin zu Ausflügen und Exkursionen. „Ich habe dort sogar meine beste Freundin kennengelernt“, sagt die Seniorin.
„Frau Hellmanns ist ein Paradebeispiel dafür, wie die zentren plus funktionieren“, sagt Gabriele Schmidt-Schulte, Leiterin des zentrum plus Benrath. „Sie ist aber auch von sich aus gekommen, das schaffen nicht alle“, beschreibt sie direkt die erste Hürde. „Viele wollen sich das nicht eingestehen, dass sie einsam sind. Darum brauchen wir Menschen, die hinschauen – Kinder, Nachbarn, Ärzte, aber auch die Geschäftsleute im Viertel.“ Denn nur wenn sich jemand beim zentrum plus meldet, können die Mitarbeiterinnen aktiv werden, nachfragen, ob Hilfe benötigt wird, zu Angeboten einladen. „Und selbst wenn die Menschen sich dann hier melden, wenn sie anrufen oder hier vorbeikommen, müssen wir viel Fingerspitzengefühl walten lassen“, sagt Margit Risthaus, die das Netzwerk Benrath leitet. Zusammen mit Gabriele Schmidt-Schulte organisiert sie die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren im Stadtteil.
Viele Gruppen beginnen ihre Treffen mit Frage: Wen vermissen wir?
Margit Risthaus, Netzwerk Benrath
Das Thema Einsamkeit sei immer noch schambesetzt und tabuisiert. Da dürften die Mitarbeiterinnen oft nicht direkt mit Beratung kommen, sondern müssten erst einmal zu niederschwelligen Angeboten einladen wie dem Stadtteilfrühstück zum Beispiel. „Aber da schauen wir dann schon genau hin, zum Beispiel, ob es die neuen Gäste überfordert, an einem großen Tisch zu sitzen, und sie vielleicht an einem kleinen besser aufgehoben sind.“ Manche Menschen hätten seit Jahren kaum mit anderen gesprochen. „Die müssen andere Menschen auch erstmal wieder ertragen können“, sagt Gabriele Schmidt-Schulte. Nach und nach könne man dann mehr und mehr anbieten. Dabei geht es auch darum, die Gratwanderung zu schaffen zwischen nicht übergriffig werden und trotzdem hinzuschauen. „Da kommt dann der Senior jede Woche mit dem Eifleck auf dem Pullover. Wir versuchen dann vorsichtig anzusprechen, ob das denn mit dem Haushalt alles noch so klappt oder ob er eventuell Unterstützung brauchen könnte.“ Wenn die Seniorinnen und Senioren dann später vielleicht auch Gruppen besuchen, bauen sich die Netzwerke auf, die dann über die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen hinaus tragen. „Die Menschen achten gegenseitig auf sich“, sagt Margit Risthaus. „Viele Gruppen beginnen ihre Treffen erst einmal mit der Frage: Wen vermissen wir, um wen sollten wir uns kümmern?“
Das hat auch Marga Hellmanns gemerkt, als sie zu Hause krankheitsbedingt zusammengebrochen war. Dass sie fehlte, fiel sofort auf, und so wurde sie schnell gefunden. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des zentrum plus haben ihr anschließend bei den organisatorischen Fragen mit Krankenhaus und Krankenversicherung geholfen, die neuen Freundinnen und Freunde haben beispielsweise Apothekengänge und Einkäufe übernommen.
Dass diese Netzwerke nachhaltig tragen, wurde jetzt auch wissenschaftlich bestätigt. Die Arbeit des zentrum plus Benrath wurde im Rahmen des „WIN-Quartier“-Projekts der Freien Wohlfahrtspflege NRW evaluiert. Die Arbeit des zentrum plus schafft belastbare Kontakte. „Aber das geht eben auch nur mit einer engen Begleitung durch Hauptamtliche, mit vielen kleinen Schritten, die organisiert werden“, sagt Margit Risthaus.
Dazu gehört auch, dass Besucherinnen und Besucher, die finanzielle Probleme haben, vorsichtig auf Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen werden, etwa das Angebot der „Benrather Tüte“, der Lebensmittelausgabe für Menschen, die wenig Einkommen haben, zu nutzen, einmalige Beihilfen in Anspruch zu nehmen oder kostenlos an Festen und Veranstaltungen teilzunehmen. „Auch hier ist wieder Fingerspitzengefühl gefragt, da finanzielle Notlagen oft nicht augenscheinlich sichtbar werden. Wir sind froh, hier an einem Ort eine ganze Palette an Unterstützungsmöglichkeiten zu haben“, sagt Margit Risthaus.
Dass Armut immer einsam mache, kann sie allerdings nicht ohne Weiteres bestätigen. „In Düsseldorf bieten die zentren plus sehr viele Freizeit-Möglichkeiten, die auch dank Spenden nichts kosten. Wir machen hier eher die Erfahrung, dass Armut auch Netzwerke schafft zwischen Menschen, denen es ähnlich geht. Und es gibt durchaus einige, die sich ihr Leben lang über Geld definiert haben. Die sind manchmal im Alter viel einsamer.“ Es gebe aber andere Faktoren, die Einsamkeit verstärken, an die man aber nicht sofort denke. Schwerhörigkeit zum Beispiel. „Wenn ich einen Großteil der Kommunikation von anderen nicht mitbekomme, kann das ganz schön einsam machen. Oder wenn ich mit psychischen Herausforderungen, etwa mit Depressionen, kämpfe.“ Ein neues Phänomen sei auch die Einsamkeit von älteren Menschen, die ihren Kindern und Enkelkindern hinterherziehen, um ihnen nahe zu sein. Das bedeute dann einen Neustart in einer fremden Stadt im fortgeschrittenen Alter. „Und nur die Kinder und Enkelkinder sind eben auch ein soziales Netz, das schnell an seine Grenzen stößt.“ Da brauche es einfach genügend Menschen im ähnlichen Alter, in ähnlichen Lebenssituationen.
Über ein Zuviel an sozialer Kontrolle beschwere sich übrigens kaum jemand, betonen Gabriele Schmidt-Schulte und Margit Risthaus. Und auch Marga Hellmanns sieht darin kein Problem. „Man muss sich ja nicht mit jedem verbrüdern. Und wenn ich keine Lust mehr habe, gehe ich nach Hause. Da ist es ja ruhig genug.“