Spielen ist ein menschliches Grundbedürfnis – und damit immer schon ein Teil von Sozialer Arbeit. Gamification dagegen ist ein neuer Trend, der sich vom einfachen Spielen unterscheidet. Wie soll und kann Soziale Arbeit damit umgehen? Die Diakonie Düsseldorf beschäftigt sich damit - in ihrem Büro für soziale Innovation.
Gamification geht auf das Englische Wort „Game“ zurück und bezeichnet laut Gabler Wirtschaftslexikon „die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge“. Gamification wird vor allem von Software-Anbietern weithin gezielt eingesetzt, um das Verhalten von Software-Nutzer*innen zu beeinflussen.
Typische Elemente von Gamification sind das Sammeln von Punkten, aber auch Bestenlisten, Medaillen (für das Absolvieren bestimmter Aufgaben), festgelegte Zeitfenster bzw. Countdowns etc. Diese Elemente werden zielgerichtet eingesetzt um Nutzer*innen an das entsprechende Softwareprodukt zu binden, eine starke Nutzung zu fördern und, in vielen Fällen, zu zusätzlichen Zahlungen an den Anbieter motivieren.
Damit unterscheidet sich Gamification grundlegend vom klassischen, weitgehenden anlass- und zwecklosen Spielen. Zwar können auch hiermit pädagogische oder anderweitige Ziele verfolgt werden, allerdings sind die Spiele nicht gezielt darauf optimiert und wurden nicht zu diesem Zweck entwickelt. So trainiert ein Skatspiel das Gedächtnis – aber das ist nicht das primäre Ziel des Spiels.
Gamification als Instrument in der Sozialen Arbeit
Gamification kann von Akteuren Sozialer Arbeit als Instrument eingesetzt werden, um das Verhalten von Klient*innen positiv zu beeinflussen. Inspirierend kann hier der Einsatz von Gamification in Sprachlern-Apps sein, die Sprachenlernende zu kontinuierlicher Nutzung anhalten und zu Lernfortschritten führen soll. Dies ist prinzipiell überall dort möglich, wo soziale Arbeit auf eine dauerhafte Verhaltensänderung abzielt.
In der Arbeit der Familien- und Nachbarschaftszentren beispielsweise sind spielerische Elemente, wie in anderen Bereichen der sozialen Arbeit, bereits heute stark vertreten. So organisiert das Ernst-Lange-Haus einen Wettbewerb, bei dem Familien dazu aufgerufen werden, bei bestimmten Aktionen mitzumachen, sich miteinander zu beschäftigen und aus dem Haus in den Stadtteil herauszugehen. Dies lässt sich dies bereits als nicht-digitale Form von Gamification verstehen – und perspektivisch ausbauen. Möglich sind zum Beispiel der Einsatz bei Aufräumaktion im Quartier, Instagram-Photo-Safaris durch den Stadtteil oder allgemein eine verstärkte digitale Abbildung spielerischer Elemente. So kann auch auf die stärkere Präsenz digitaler Medien im Leben der Klient*innen reagiert werden.
Einsatz in der Sozialberatung
Interaktionen mit Behörden sind immer eine Herausforderung, insbesondere aber für Menschen, die eine Sozialberatung in Anspruch nehmen. Auch wenn Klient*innen digitale Endgeräte nutzen, stellen offizielle Formulare sie oft vor Hürden. So können nur wenige Klient*innen Unterhaltsvorschussformulare oder ähnliches ohne Hilfestellung ausfüllen.
Gamification könnte hier helfen, zum Beispiel mit einem Spiel, in dem digitale Behördenformulare erklärt werden. Klient*innen können so das Ausfüllen von Formularen und die Interaktion mit Behörden im Spiel üben -– mit zeitnahen, visuellen Erfolgserlebnissen bzw. ohne harte Sanktionen bei Fehlern. Das Ziel wäre Klient*innen dazu zu befähigen, digitale Behördenvorgänge selbstständig zu bewältigen, wo sie heute noch auf Begleitung angewiesen sind.
Aktiv leben im Alter
In der Altenhilfe und -pflege kann Gamification genutzt werden, um Bewegungsanreize zu setzen oder die Spielenden anderweitig zu aktivieren, um Gemeinschaft durch Aktivitäten zu erleben und zu stärken. So hat die Diakonie Düsseldorf den Roboter Pepper im Einsatz, der mit visuellen Reizen (Kindchenschema), seiner Art der Bewegungen und sowie mittels der Softwareangebote bereits Elemente von Gamification umsetzt.
Auch die Angebote von Bike Labyrinth oder memore setzen mit spielerischen Instrumenten Anreize für Bewegung und Aktivierung (Stichwort: Sturzprävention), sind aber auch für Biographiearbeit, Diskussionen und gemeinschaftliche Aktivitäten einsetzbar. Bemerkenswert ist, dass dabei die natürliche Freude am Spiel und am Erkunden, weniger die gezielte Verhaltensbeeinflussung über Bestenlisten etc. im Vordergrund steht.
Führung, Personalentwicklung und Weiterbildung
Gamification lässt sich auch für organisatorische Herausforderungen einsetzen, zum Beispiel bei Fort- und Weiterbildungen. So müssen Auszubildende im Geschäftsbereich „Leben im Alter“ der Diakonie Düsseldorf eine Reihe von Fachlerneinheiten absolvieren, die sich auch mit Gamification-Ansätzen umsetzen und gestalten ließen. Überschneidungen gibt es hierbei mit Online-Lernsystemen und den entsprechenden Plattformen, in denen es ebenfalls Level, Darstellungen des (Spiel-)Fortschritts und ähnliches gibt.
Grenzen und Risiko von Gamification?
Bei allen Einsatzmöglichkeiten braucht es gleichzeitig einen kritischen Blick auf Gamification. Dieser beginnt bei dem Menschenbild, das hinter Gamification steht. So gehen Gamification-Ansätze davon aus, dass Menschen tendenziell leicht manipulierbar und steuerbar sind – und übersehen die intrinsische Motivation und die Bedeutung des freien Willens. So lassen sich zwar vielleicht kurzfristige Verhaltensänderungen erzielen. Aber das Menschenbild entspricht nicht dem Ideal einer hierarchiefreien, offenen Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Klient*innen.
Im Ergebnis kann der Einsatz von Gamification in der sozialen Arbeit Menschen an problematische Anreize gewöhnen und intrinsische Motivation sowie die bewusste Selbststeuerung schwächen. Gamification ist deshalb zunehmend ein Thema für Suchtberatungen. Hier gibt es ein breites Spektrum von ‚harmloser‘ Gamification bis hin zu mehr oder weniger bewusst herbeigeführter Online- oder Spielsucht. Diese wird vor allem dann problematisch, wenn sie das Leben der Klient*innen negativ beeinflusst. Dies betrifft den Bereich der Online-Spiele, egal ob relativ simple Click-Spiele nach dem Modell von „FarmVille“ oder immersivere Spiele. Die technischen Hürden sind hierbei nicht besonders hoch, auch auf den günstigsten Smartphones lassen sich diese Spiele spielen.
Gamification erzeugt dabei gezielt künstliche Erfolgserlebnisse in Parallelwelten, um Spielende zu binden und aktiv zu halten. Dies bindet die Aufmerksamkeit und Motivation von Spieler*innen – und kann die Motivation dafür schwächen, Herausforderungen außerhalb der Spielwelt, wie eine Job- oder Wohnungssuche, anzugehen. Das gilt vor allem, wenn Fortschritt dort mit mehr Anstrengung und Rückschlägen verbunden sind.
Wenn die Suche nach kurzfristiger, einfacher Gratifikation für Klient*innen ein Problem ist, kann dieses durch Gamification ggf. sogar verstärkt werden. Gerade bei Klient*innen mit bestehenden Suchtproblematiken oder -neigungen gibt es die Befürchtung bei Mitarbeitenden, dass Gamification problematisch sein und Rückfälle triggern kann – zum Beispiel dann, wenn einzelne strukturelle oder visuelle Spielelemente an Designs von Spielautomaten erinnern.
Wenn Gamification mit finanziellen Anreizen verknüpft wird, können Klient*innen im Extremfall sogar Schulden anhäufen. Dies gilt insbesondere dann, wenn Abonnements eingesetzt werden – oder Modelle wie Pay-to-Skip, bei der Anbieter des Spiels bestimmte Elemente oder Fortschrittstufen des Spiels nur gegen (zusätzliche) Zahlungen freischaltet oder schneller verfügbar macht.
Der Umgang mit Gamification will daher gelernt sein. Dafür müssen Mitarbeitende in der Sozialarbeit für Online- oder Mediensucht und ihren Bezug zu Gamification sensibilisiert werden. Die Diakonie Düsseldorf hat zudem entsprechende Präventions- und Therapieansätze in die Arbeit von Suchtberatungsstellen integriert.
Gamificiation bewusst planen und einsetzen
Der Einsatz von Gamification sollte daher zum einen nach einem vorausgegangenen Klärungsprozess bewusst und durchdacht geplant werden. Hier müssen Mitarbeitende im Bereich der Sozialen Arbeit für sich und ihre Einrichtungen klären, wo Gamification und spielerische Ansätze hilfreich sind, wo eher schädlich und nach welchen Grundprinzipien diese umgesetzt werden sollen.
Außerdem sollte der Einsatz bewusst und im offenen Dialog mit den Klient*innen geplant und besprochen werden. Ein Ansatz, der auf Aufklärung, Eigenmotivation und Gamification als „Selbstüberlistung“ setzt, wäre konform mit einem aufgeklärten Menschenbild der sozialen Arbeit, der Autonomie von Klient*innen und einem gleichberechtigten Miteinander.
Auch allgemeine Medienkompetenz kann sowohl jüngeren auch älteren Nutzer*innen helfen, mit Gamification umzugehen. Auch das Aufzeigen von Alternativen sowie anderer Quellen von Zufriedenheit und Bestätigung können helfen, ein Überkippen von Gamification in Suchtmuster zu reduzieren. Wenn Gamification Fortschritte hin zu mehr Selbstständigkeit und einer gelingenden, stabilen Lebenssituation schafft, ist vielleicht auch wieder Raum dafür, was Spiel eigentlich sein sollte: Spielen um zu spielen.
Text: Dr. Martin Herrndorf
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