Gespräch Anne Wolf
Foto Gerald Biebersdorf
Vor rund sieben Jahren ist Samriz Hamidi als unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter nach Deutschland gekommen. Heute unterstützt er Jungen und junge Männer, denen es geht wie ihm damals. Im Interview erzählt er, warum er das tut und was ihm geholfen hat, seinen Weg zu finden.
Shamriz, als du mit 15 Jahren mit deinem Bruder nach Deutschland gekommen bist, hast du erst in einer Unterkunft für Geflüchtete gewohnt, später dann in einer Wohngruppe für minderjährige Geflüchtete. Wie bist du zu JUMP gekommen?
Shamriz: Nachdem ich sechs Jahre in der Wohngruppe gewohnt hatte, bin zu JUMP gegangen, weil ich gerne in eine eigene Wohnung ziehen und selbstständig werden wollte. JUMP hat mir dabei geholfen, aber ich hatte auch Glück, weil ich in der Jugendhilfe bleiben konnte, bis ich 21 war.* Das ist nicht bei allen Jungs so, die nach Deutschland kommen. Bei vielen ist mit 18 Jahren Schluss, das bedeutet, sie sind dann auf sich allein gestellt.
Genießt du es, eine eigene Wohnung als Rückzugsort zu haben?
Ja, allerdings bin ich kaum zu Hause, weil ich viel arbeite. Vor einem Jahr habe ich meine Ausbildung als Elektriker für Energiegebäudetechnik im Fachbereich MSL abgeschlossen. Jetzt nach der Ausbildung fängt die Arbeit erst richtig an. Es gibt noch so viel zu lernen.
Du bist ganz schön eingespannt, trotzdem unterstützt du im Projekt JUMPeers minderjährige Geflüchtete. Warum?
Als ich nach Deutschland gekommen bin, hatte ich nicht die Möglichkeit, andere Leute um Hilfe zu bitten. Ich hätte mich das auch gar nicht getraut. Jetzt traue ich mir etwas zu und deshalb rede ich mit den anderen Jungs. Ich sage zwar immer: Fragt doch eure Betreuer*innen, aber die fragen immer mich. Weil ich dasselbe erlebt habe wie sie, ist das Vertrauen größer. Wenn sie Sorgen haben, rufen sie mich an. Und ich versuche dann, ihnen zu helfen.
Viele Jugendliche, die neu in Deutschland sind, haben Angst, sich den Erwachsenen anzuvertrauen, weil sie Sorge haben, das könnte Konsequenzen haben. Darum gibt es bei der Diakonie das Projekt JUMPeers, in dem junge Geflüchtete andere junge Geflüchtete unterstützen. Während Sozialarbeiter*innen aus fachlicher Sicht sprechen, sprichst du aus Erfahrung. Kannst du Beispiele nennen, mit welchen Fragen die Jugendlichen auf dich zu kommen?
(lacht) Das kann ich nicht erzählen. Das ist privat.
Aber vielleicht kannst du allgemein etwas dazu sagen, wie du den Jugendlichen ein Vorbild sein kannst?
Wenn die Jungs neu in Deutschland sind, sage ich ihnen, wie wichtig es ist, zuerst die Sprache zu lernen. Ich sage: ,Lernt die Sprache, denn dann könnt ihr euch um euch selbst kümmern und euch eine Arbeit suchen.‘ Außerdem erzähle ich von mir. Ich wollte keine Ausbildung machen damals, das war nicht mein Ding, ich wollte studieren. Aber irgendwann habe ich mir gesagt: Okay, dann lerne ich eben was Praktisches, studieren kann ich immer noch. Den Jungs gebe ich deshalb den Tipp, für alle Berufe offen zu sein, auch mal ein Praktikum zu machen. Wir treffen uns auch regelmäßig bei JUMP und sprechen über verschiedene Themen, machen Spieleabende, kochen was zusammen oder unternehmen Ausflüge.
Jugendliche, die ohne Eltern nach Deutschland kommen, haben es in der Regel nicht leicht: Erwachsenwerden ist generell meist mit Problemen verbunden, bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten kommt der Stress um den Aufenthalt hinzu. Bei dir klingt dagegen alles so leicht. War es das?
Das war überhaupt nicht leicht. Als ich nach Deutschland gekommen bin, hatte ich große Bedenken, ob ich das hier schaffe. Aber ich habe mir gesagt: Du lebst nur einmal, es zu versuchen schadet nicht. Besonders schwer war es kurz vor meiner Abschlussprüfung. Ich bin froh, dass die Mitarbeitenden von JUMP mir in dieser Zeit geholfen haben. Ich hatte Probleme mit der Ausländerbehörde und sie haben mir den Rücken freigehalten, damit ich mich aufs Lernen konzentrieren konnte. So konnte ich das durchziehen. Jetzt hast du deine Ausbildung geschafft. Welche Pläne hast du für die Zukunft? Ich möchte unbedingt meinen Meister machen. Leider sind erst wieder 2028 Plätze frei. So lange muss ich mich noch gedulden.
Care Leaver
Care Leaver sind junge Erwachsene, die Unterstützung durch die Jugendhilfe erhalten haben. Nach Erreichen der Volljährigkeit, spätestens mit 21 Jahren, wird diese Hilfe beendet. Care Leaver, die als unbegleitete minderjährige Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, sind dann auf sich allein gestellt, denn ihnen fehlt der Rückhalt, den junge Erwachsene normalerweise durch ihre Eltern haben. Mit den Projekten Care Leaver und JUMPeers ist die Diakonie Düsseldorf weiterhin für diese jungen Menschen da. Das Besondere bei JUMPeers ist, dass junge Erwachsene, die als minderjährige Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind, nun junge Menschen unterstützen, denen es ähnlich geht wie ihnen. Das Care-Leaver-Projekt wird vom Jugendamt der Stadt Düsseldorf finanziert, JUMPeers von der Aktion Mensch.