Text Anne Heidrich, Fotos Sabrina Radeck
Die Zahl der Beschäftigten aus den Asylherkunftsländern ist in den vergangenen deutlich gestiegen – im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent. Doch immer noch haben Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, hohe Hürden zu überwinden, um wieder ins Berufsleben einzusteigen. In magdas Hotel treffen Menschen aus 16 Nationen aufeinander, ohne dass ein einziger Gast eingecheckt hätte. Ein Besuch an einem Ort, an dem Chancen geschaffen werden für Menschen, die es im Leben besonders schwer haben.
Ankommen. Rollkoffer rattern über den Boden. Menschen werfen Schatten auf den Beton. Und Schuhe treten auf Buchstaben, die in grellgelber Farbe auf das Grau gemalt worden sind. „Mutig in die neuen Zeiten“ ist da zu lesen, arabische Schriftzeichen sind zu erkennen, spanische Worte und französische Sätze vielleicht zu verstehen. Es sind Zitate aus der Hymne des Landes, in dem die nationale Tourismusorganisation im vergangenen Jahr gut 150 Millionen Übernachtungen zählte und rund 45 Millionen Ankünfte: „Vielgeliebtes Österreich.“ Ankommen in Wien, ankommen zwischen Donau und Donaukanal am Rande des grünen Praters mitten in jener Stadt, die in allen möglichen Ranglisten jahrein, jahraus zur lebenswertesten weltweit gekürt wird – erst einmal ankommen im magdas Hotel.
Ich mag das = magdas
In dem Haus, dessen Name sich von dem Satz „Ich mag das“ ableitet, treffen bereits 16 Nationen aufeinander, werden bereits 20 Sprachen gesprochen, ohne dass eine einzige Touristin, ein einziger Tourist eingecheckt hätte. Ein Teil der Angestellten des Hotels an der Laufenbergergasse im zweiten Bezirk hatte einen langen Weg nach Wien, ist aus Syrien geflüchtet oder aus Afghanistan, über die Türkei oder über Griechenland in Österreich angekommen. Als neues Social-Business-Projekt der Caritas ist das magdas Hotel im Februar 2015 eröffnet worden. Das Gründungsteam wollte Chancen schaffen für Menschen, die es schwer haben: Haftentlassene, Langzeitarbeitslose und eben jene mit einer Fluchtgeschichte. Menschen, „für die es unfassbar kompliziert ist, Jobs zu finden“, wie magdas-Mitarbeiterin Sarah Bárci sagt. Dafür musste man umdenken – und erst einmal umbauen. Denn das Wiener Gebäude mit der perfekten Hotellage war in den 60er-Jahren als Seniorenheim errichtet, zwischenzeitlich mal als Notschlafstelle für wohnungslose Menschen genutzt worden, lange stand es leer.
Einer Menge Motivation und Idealismus ist der gelungene Umbau zu verdanken
Seine Geschichte sieht man dem Haus inzwischen nur noch ein bisschen an. Alles hier wirkt retro-hip und innovativ-heiter, von der grellgelben Buchstaben-Kunst auf dem grauen Betonboden draußen vor der Eingangstür bis zu den Schlüsseln der 78 Hotelzimmer, von denen ein jeder nun an ästhetisch aufgeschnittenen Golfbällen hängt. Einer Menge Motivation und Idealismus sei der gelungene Umbau zu verdanken, sagt Bárci: „einem Team, das viel bewegen wollte.“ Und das Mut zur Improvisation hatte. Die Golfbälle etwa waren eine Spende, in großer Stückzahl plötzlich da, man spielte herum, probierte aus, schnitt hinein – Treffer, die Anhänger wurden gefertigt.
Eingebracht haben sich viele. Studenten der benachbarten Akademie der bildenden Künste halfen beim Gestalten und Renovieren, eine Gruppe Männer und Frauen fing nach einem Facebook-Aufruf an, für alt gewordene Stehlampen neue Schirme zu häkeln, die Österreichische Bundesbahn gab ausrangierte Gepäckablagen, die als Garderoben an die Zimmerwände geschraubt wurden. Im Eingangsbereich des Hotels dankt eine Liste den Unterstützerinnen und Unterstützern.
Kredit und Crowdfunding
Zusammen hat man aus wenig sehr viel gemacht. Eineinhalb Millionen Euro gab es als Kredit von der Caritas für den Umbau, mithilfe einer Crowdfunding-Aktion kamen noch einmal 57.306 Euro dazu. Wenig Geld, um ehemalige Seniorenunterkünfte zu den witzig-gemütlichen Hotelzimmern zu gestalten, die sie heute sind, für Lounge, Café, Bibliothek und Garten. Viel Altes blieb, wurde recycelt, upgecycelt, gewinnbringend integriert. Manche Kachel in den Bädern der Suiten erinnert dezent, aber bestimmt an die Mode der 60er. Überdimensionierte Einbauschränke aus der gleichen Zeit wurden zerlegt, das Sperrholz zu kleinen Tischen oder Bänken wieder zusammengesetzt, bei den Entwürfen halfen das Wiener Architekturbüro „Alleswirdgut“ und der Designer Daniel Büchel. Für die Umgestaltung gab es schließlich den Österreichischen Staatspreis für Design – sehr schick.
„Wir wollen ja, dass die Leute kommen, weil sie sich wohlfühlen, nicht weil sie ein soziales Projekt besuchen“, sagt die Assistentin der Geschäftsleitung, Carmen Hjort. Man verstehe sich als normales Hotel. Aber normal, naja – das war das Projekt für die Nachbarschaft zunächst nicht so, dem magdas Hotel wurde neben allerhand Hilfe auch Misstrauen entgegengebracht, erinnert sich Bárci. Es habe Sorgen gegeben, Vorurteile, Fragen wie „Sind die nicht alle schwer traumatisiert?“
Wir schauen nicht, was Geflüchtete alles noch nicht können, sondern was sie alles schon können
Ali kam im niederösterreichischen Traiskirchen an, im November 2015. Über Pakistan, den Iran, die Türkei und Griechenland ist der 26-jährige Afghane nach Österreich geflüchtet. Er möge das Land, sagt der Vater einer vierjährigen Tochter: „Die Menschen sind hier gleich. Es werden keine Unterschiede gemacht zwischen Mann oder Frau oder Hautfarben.“ Angekommen? Naja. Ali hat in Niederösterreich viel Zeit mit Warten verbracht, erst im Oktober des nächsten Jahres fand das Interview zum Asylverfahren statt, Anfang März des übernächsten Jahres bekam er den positiven Bescheid. Neun Monate arbeitete er ehrenamtlich bei der Caritas, lernte Deutsch, inzwischen ist er als Stubenmann im magdas Hotel angestellt. Es gefalle ihm, sagt er. „Ich habe einen Job, ich habe die Sprache gelernt.“ Aber auch das ist wohl: eine Zwischenstation. Er war in Afghanistan Verkäufer, hat als Elektriker gearbeitet, möchte in Wien eine Ausbildung zum Elektrotechniker machen.„Wir schauen nicht, was Geflüchtete alles noch nicht können, sondern was sie alles schon können“, sagt Sarah Bárci. Sich in unterschiedlichen Kulturen auszukennen, verschiedene Sprachen zu sprechen - „das ist super für einen Hotelbetrieb“.
Und dennoch: Im ersten Jahr des Betriebs habe man vielleicht ein bisschen zu viel Fokus „auf sozial“ gelegt. Man habe die Balance wieder herstellen müssen zum „Business“, das ebenfalls im Namen des Wirtschaftskonzeptes steckt, das sich magdas zu eigen gemacht hat. Es geht zurück auf den bengalischen Ökonomen Muhammad Yunus, der für die Entwicklung von Mikrokrediten den Friedensnobelpreis bekam. Grundidee: Nicht Gewinnmaximierung soll Zweck eines Unternehmens sein, sondern die Lösung von sozialen oder Umwelt-Problemen. Bedeutet: Falls es Gewinne geben sollte, werden diese reinvestiert. So ist das Hotel Teil der von der Caritas gegründeten Service GmbH, die auch andere Projekte betreibt, etwa Großküchen, eine Kantine, eine Recycling-Firma oder ein Design-Unternehmen. Jeder einzelne Bereich muss sich selbst tragen. Das magdas Hotel schafft das inzwischen. Und das war auch ein Lernprozess.
Waren anfangs fünf Hotelexpertinnen und -experten und 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit einer Fluchtgeschichte in dem Haus beschäftigt, hat sich das Verhältnis immer mehr verschoben. Heute arbeiten 15 Fachleute mit 20 Geflüchteten zusammen, darunter sind 13 Lehrlinge. Von denen, die eine Ausbildung machen möchten, wird inzwischen erwartet, dass sie grundlegende Deutschkenntnisse mitbringen. Den Betrieb aufrecht erhalten und die Lehrlinge gut betreuen – das könne nur so garantiert werden, sagt Bárci. Die Zeit gibt ihrer Ansicht recht. In diesem Sommer hat der erste Auszubildende seine Abschlussprüfung bestanden. Doch wer noch Hilfe braucht, dem wird auch geholfen. Es gibt Kurse, in denen fachspezifische Begriffe geübt werden, die magdas-Lehrlinge für ihre Ausbildung zur Köchin oder zum Koch, zur Restaurant- oder Hotelfachkraft brauchen. Eine Sozialberatung, die sich intensiv mit Mitarbeitenden befasst, wenn es Probleme gibt: Wenn sie Schulden haben, wenn sie eine Wohnung suchen, bei Behördengängen.
Jankin kennt sich gut aus in Wien
Mit denen, die an der Rezeption arbeiten, werden schon mal Ausflüge gemacht in den ersten Bezirk, damit sie auf die Bedürfnisse der Touristen eingestellt sind, deren Fragen beantworten können – wie kommt man vom Stephansdom in den Volkspark oder von der Hofburg ins Burgtheater? Jankin kennt sich an einigen Orten in der Welt aus und mittlerweile auch in Wien. Er ist 18 Jahre alt, macht seit einem Monat eine Lehre im magdas Hotel. Angekommen in Österreich ist er im Juni 2015, als Jugendlicher ist der Kurde aus dem syrischen Aleppo über die Türkei nach Österreich geflüchtet. Was am Schwersten war? „Ich war ganz alleine“, sagt er leise. Zum ersten Mal getrennt von der Familie, in einem Land, in dem ihn zunächst kaum jemand verstanden hat. Kurdisch ist seine Muttersprache, auch Türkisch beherrscht er, Persisch hat er mit Freunden in Österreich geübt und gesprochen, Arabisch sei schwer zu lernen, sagt er, deshalb sei er besonders stolz, dass er es spreche, Englisch könne er – und Deutschkurse braucht er inzwischen auch nicht mehr.
Für Jankin läuft es. Und für das Hotel auch. Waren zu Beginn meist nur die Hälfte der Zimmer belegt, liegt die Auslastung mittlerweile bei Dreiviertel - auf dem gleichen Niveau, das der Wiener Tourismusverband für alle Unterkünfte der Stadt für das vergangene Jahr erfasst hat. Die Zeit der Bewährung hat das Projekt geschafft. Die erste Genehmigung für die Zwischennutzung des ehemaligen Seniorenheims ist vorüber, in diesem Sommer bewilligte die Wiener Baupolizei den weiteren Hotelbetrieb. magdas ist angekommen.