UnSichtbar

Im September 2019 machte Georgine Kellermann,
die bis dahin als Georg vor der Kamera stand, ihr Coming-out als Transfrau öffentlich.

Zwei Farbbalken in rosa und hellblau

Ein Gastbeitrag von Georgine Kellermann

Kann man aufbrechen und sofort ankommen?

Mir ist das so gegangen. Vor zwei Jahren. Da bin ich aufgebrochen in ein neues, in mein neues Leben und bin gleich angekommen. Das war ein überstürzter Aufbruch. Ohne Plan. Ich wusste noch nicht einmal eine Minute vor dem Start, dass es gleich losgehen würde. Auf dem Weg in den Urlaub. Zurechtgemacht. Georgine halt. Das traute ich mich schon seit ein paar Monaten. Immer darum bemüht, keiner Person zu begegnen, die nur Georg kannte. Versteckte mich hinter einer großen Sonnenbrille. Bis zu diesem Tag war das immer gutgegangen. Und dann traf ich auf dem Düsseldorfer Hauptbahnhof auf eine Kollegin. Sie fixierte mich und ich wusste sofort, dass sie sich fragte, ob das „Herr“ Kellermann ist. Ich hätte früher alles versucht, mich unsichtbar zu machen. Jetzt ging ich schnurstracks auf sie zu. Ihre Frage, ob ich verkleidet sei, beantwortete ich mit „Nein. – Ich bin eine Frau“. Sie erwiderte nach einer kurzen Denkpause: „Cool.“

Georgine Kellermann
Foto: WDR/Annika Fußwinkel

„Georg hat ein tolles Leben gelebt.“

Ich wollte nicht mehr. 62 Jahre lang hatte Georg das Ruder zumindest meines öffentlichen Lebens in der Hand gehabt. Und in diesem einen Moment wurde es „ihm“ entrissen und Georgine in die Hand gedrückt. Ich war angekommen. Da, wo ich schon immer hingehörte. „Hör endlich auf mit diesen Lügen“, hatte eine gute Freundin mir ein paar Monate vorher gesagt. Mit meiner Therapeutin hatte ich Therapiestunde um Therapiestunde daran gearbeitet. Über allem stand immer die Frage, was eigentlich passieren sollte, wenn ich öffentlich machte, was privat alle seit meiner Jugend wussten. Wenn ich werde, wer ich bin, kann ich nicht mehr tun, was ich liebe. Das war meine Sorge. Das stand im Weg. Heute weiß ich, dass es in meinem Kopf war. Die Gesellschaft war längst viel weiter. Ich werde oft gefragt, ob ich bereue, dass ich nicht schon früher in mein richtiges Leben aufgebrochen bin und das von „Georg“ hinter mir gelassen habe. Nein. Das bereue ich nicht. Georg hat ein tolles Leben gelebt. Ist zwar nicht Pilot*in geworden – das war ein Traum, der sich wegen eines schlechten Auges nicht realisieren ließ –, aber Reporter*in war nahezu ebenso so gut.

Ein ungeplanter Aufbruch

Ich habe im WDR für ein Medienunternehmen gearbeitet, das sich in seinen Beiträgen schon immer auch den Randgruppen der Gesellschaft gewidmet hat. 1983 habe ich dort begonnen. Mit einigen Kolleg*innen konnte ich auch über Georgs größtes Geheimnis sprechen. Dass „Er“ eigentlich eine
„Sie“ war. Aber nach außen musste ich schon die männliche Rolle leben. Viele Jahre lang. Das hat Kraft gekostet. Auch mich. Besonders aber die, die mir am nächsten standen. Meine Partnerinnen haben das mehr als einmal zu spüren bekommen. Dabei hat mir meine letzte Lebensgefährtin – die heute meine beste Freundin ist – öfter geraten, doch endlich „reinen Tisch zu machen“. Ich hatte ihre volle Unterstützung. Und ich stand immer so kurz davor, endlich aufzubrechen, und habe mich dann doch nicht getraut. Jetzt ist es gut, wie es ist.

So ungeplant mein Aufbruch war, so ungeplant kam, was dann passierte. Kurz nachdem ich öffentlich gemacht hatte, wer ich wirklich war, erlebte ich das, was man im Sozialen Netzwerk Twitter einen Candystorm nennt. Das Gegenteil eines Shitstorms. Die überwältigende Mehrheit der Menschen sprach mir Mut zu und tut das bis heute. Und ich bekomme sehr häufig die Rückmeldung, dass auch ich eine Mutmacherin bin. Das hatte ich nicht geplant und auch nicht vorhergesehen. Aber das ist ein wunderbarer Nebeneffekt meines eigenen Glücks: dass mein Aufbruch am Ende auch anderen hilft, endlich aufzubrechen. Dahin, wohin sie schon immer hingehören. In ihr eigenes Leben.