Manche Menschen, die das erste Mal in die zentren plus kommen, haben seit Jahren mit niemandem gesprochen. Sie müssen oft erst wieder lernen, mit anderen in Kontakt zu treten.
„Das zentrum plus? Ein Segen, ein Segen.“ Marga Hellmanns ist alte Benratherin, im Düsseldorfer Süden verwurzelt. Gemeinsam mit ihrem Mann, mit dem sie 46 Jahre verheiratet war, war sie in vielen Vereinen aktiv. Da steht das soziale Netz, mag man meinen. Aber als ihr Mann vor zehn Jahren starb, brachen viele Freundschaften weg, erzählt sie. Kinder hat sie keine. Und so kam die Einsamkeit. Marga Hellmanns hatte aber zumindest noch die Energie, es dabei nicht zu belassen. „Ich konnte doch nicht einfach zu Hause versauern.“ Und so ging sie ins nahe gelegene zentrum plus der Diakonie.
Die Beratungs- und Begegnungszentren sind seit elf Jahren in Düsseldorf für Seniorinnen und Senioren da. Für Marga Hellmanns war das in der Tat ein Segen. „Was man da alles machen kann, ist unbeschreiblich.“ Vom Stadtteilfrühstück über die Handarbeitsgruppe „Woll-Lust“ bis hin zu Ausflügen und Exkursionen. „Ich habe dort sogar meine beste Freundin kennengelernt“, sagt die Seniorin.
Es braucht Menschen, die hinschauen
„Frau Hellmanns ist ein Paradebeispiel dafür, wie die zentren plus funktionieren“, sagt Margit Risthaus, Leiterin des zentrum plus Benrath. „Sie ist aber auch von sich aus gekommen, das schaffen nicht alle“, beschreibt sie direkt die erste Hürde. „Viele wollen sich das nicht eingestehen, dass sie einsam sind. Darum brauchen wir Menschen, die hinschauen – Kinder, Nachbarn, Ärzte, aber auch die Geschäftsleute im Viertel.“ Denn nur wenn sich jemand beim zentrum plus meldet, können die Mitarbeiterinnen aktiv werden, nachfragen, ob Hilfe benötigt wird, zu Angeboten einladen. „Und selbst wenn die Menschen sich dann hier melden, wenn sie anrufen oder hier vorbeikommen, müssen wir viel Fingerspitzengefühl walten lassen“, erzählt Margit Risthaus weiter.
Das Thema Einsamkeit sei immer noch schambesetzt und tabuisiert. Da dürften die Mitarbeiterinnen oft nicht direkt mit Beratung kommen, sondern müssten erst einmal zu niederschwelligen Angeboten einladen wie dem Stadtteilfrühstück zum Beispiel. „Aber da schauen wir dann schon genau hin, zum Beispiel, ob es die neuen Gäste überfordert, an einem großen Tisch zu sitzen, und sie vielleicht an einem kleinen besser aufgehoben sind.“ Manche Menschen hätten seit Jahren kaum mit anderen gesprochen. „Die müssen andere Menschen auch erstmal wieder ertragen können“, sagt Risthaus. Nach und nach könne man dann mehr und mehr anbieten. Dabei geht es auch darum, die Gratwanderung zu schaffen zwischen nicht übergriffig werden und trotzdem hinzuschauen. „Da kommt dann der Senior jede Woche mit dem Eifleck auf dem Pullover. Wir versuchen dann vorsichtig anzusprechen, ob das denn mit dem Haushalt alles noch so klappt oder ob er eventuell Unterstützung brauchen könnte.“
Die Menschen achten gegenseitig auf sich
Wenn die Seniorinnen und Senioren dann später vielleicht auch Gruppen besuchen, bauen sich die Netzwerke auf, die dann über die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen hinaus tragen. „Die Menschen achten gegenseitig auf sich“, sagt Margit Risthaus. „Viele Gruppen beginnen ihre Treffen erst einmal mit der Frage: Wen vermissen wir, um wen sollten wir uns kümmern?“
Das hat auch Marga Hellmanns gemerkt, als sie zu Hause krankheitsbedingt zusammengebrochen war. Dass sie fehlte, fiel sofort auf, und so wurde sie schnell gefunden. Die hauptamtlichen Mitarbeiterinnen des zentrum plus haben ihr anschließend bei den organisatorischen Fragen mit Krankenhaus und Krankenversicherung geholfen, die neuen Freundinnen und Freunde haben beispielsweise Apothekengänge und Einkäufe übernommen.
Aber das geht eben auch nur mit einer engen Begleitung durch Hauptamtliche, mit vielen kleinen Schritten, die organisiert werden
Dass diese Netzwerke nachhaltig tragen, wurde auch wissenschaftlich bestätigt. Die Arbeit des zentrum plus Benrath wurde im Rahmen des „WIN-Quartier“ Projekts der Freien Wohlfahrtspflege NRW evaluiert. Die Arbeit des zentrum plus schafft belastbare Kontakte. „Aber das geht eben auch nur mit einer engen Begleitung durch Hauptamtliche, mit vielen kleinen Schritten, die organisiert werden“, sagt Margit Risthaus.
Dazu gehört auch, dass Besucherinnen und Besucher, die finanzielle Probleme haben, vorsichtig auf Unterstützungsmöglichkeiten hingewiesen werden, etwa das Angebot der „Benrather Tüte“, der Lebensmittelausgabe für Menschen, die wenig Einkommen haben, zu nutzen, einmalige Beihilfen in Anspruch zu nehmen oder kostenlos an Festen und Veranstaltungen teilzunehmen. „Auch hier ist wieder Fingerspitzengefühl gefragt, da finanzielle Notlagen oft nicht augenscheinlich sichtbar werden. Wir sind froh, hier an einem Ort eine ganze Palette an Unterstützungsmöglichkeiten zu haben“, sagt Margit Risthaus.
Dass Armut immer einsam mache, kann sie allerdings nicht ohne Weiteres bestätigen. „In Düsseldorf bieten die zentren plus sehr viele Freizeit-Möglichkeiten, die auch dank Spenden nichts kosten. Wir machen hier eher die Erfahrung, dass Armut auch Netzwerke schafft zwischen Menschen, denen es ähnlich geht. Und es gibt durchaus einige, die sich ihr Leben lang über Geld definiert haben. Die sind manchmal im Alter viel einsamer.“
Sie hat einen Augenaufschlag drauf, der auch die härtesten Männerherzen zum Schmelzen bringt. Der silbergraue Kopf richtet sich vorsichtig auf, Rosi gibt ein leichtes Quieken von sich und spätestens wenn die schwarzen Augen mit den langen Wimpern aufklappen wird klar, warum Rosi Rosi heißt und nicht – sagen wir einmal – Karl-Heinz. Rosi ist der heimliche Star im Arnold-Overzier-Haus der Awo in der Kölner Südstadt. Fast alle finden sie toll, auch die Männer im Pflegeheim. Für Leiterin Elisabeth Römisch, die sich für die Anschaffung der Robbe beim Förderverein stark gemacht hat, kam dieser Zuspruch von männlicher Seite anfangs eher unerwartet. Aber Kuscheln ist eben nicht nur Frauensache.
Rosi ist ein Roboter in Robbenform. Ein Stofftier mit Festplatte im flauschigen Bauch, das die Bewohnerinnen und Bewohner kraulen können, ohne dass es die Geduld verliert. Rosi, deren Werksname Paro lautet, ist eine der wenigen künstlichen Intelligenzen, die es bisher in der Pflege gibt. Künstliche Intelligenz, das meint: Ausgestattet mit Sensoren an Bauch, Rücken oder den filigranen Barthaaren, die jede Reaktion registrieren, lernt Rosi jeden Tag dazu: Sie kann Stimmen erkennen, und reagiert verhalten, wenn sie einen Menschen zum ersten Mal trifft und lebhafter, wenn ein Mensch sie schon öfter auf dem Schoß hatte. Sie spürt, ob ein Mensch sie sanft streichelt oder grob behandelt und reagiert entsprechend anhänglich oder abweisend. Und sie hat im Arnold-Overzier-Haus gelernt, dass es Schlafenszeit ist, wenn das Licht ausgeht. Dann klappt Rosi ihre großen schwarzen Augen bis zum nächsten Morgen zu.
„Ich weiß, dass Du nicht echt bist, aber das ist mir egal.“
Was ein Roboter können sollte und was besser nicht, prägt derzeit die öffentliche Debatte. Einem Menschen zu suggerieren, es handele sich bei einem Roboter um ein echtes Lebewesen, gehört eher in die zweite Kategorie. Aber tut Rosi das? Macht sie den Menschen etwas vor? Römisch, sagt: „Nein“, den Seniorinnen und Senioren im Overzier-Haus sei durchaus bewusst, dass es sich bei Rosi um eine Künstliche Intelligenz handelt. Aber viele ließen sich gerne auf das Spiel ein. Römisch zitiert dazu eine Bewohnerin, die der Robbe ins Ohr flüsterte: „Ich weiß, dass Du nicht echt bist, aber das ist mir egal.“
„Und auch wenn es so wäre? Was spricht dagegen?“, sagt Haptikforscher Martin Grunwald, Autor des Buches „Homo hapticus: Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können“. Grunwald ist überzeugt: „Wenn Menschen ein gewisses Maß an Berührung nicht bekommen, fehlt ihnen etwas.“ Gerade ältere Menschen hätten ein großes Bedürfnis nach Körperkontakt, drückten Pflegekräfte im Flur an sich, wollten Hände gar nicht mehr loslassen, streichelten über Handrücken. Für Grunwald ist das eine Entwicklung, die das Alter mit sich bringt: Die Partnerin oder der Partner ist vielleicht bereits gestorben, Kinder, die einen kräftig drücken können, leben weit weg. Die Kuschelrobbe hat für ihn deshalb durchaus Potenzial. „Was Berührungsreize angeht, sind wir ziemlich robust konstruiert – auch eine Kuschelrobbe kann positive Emotionen in uns wecken“, sagt Grunwald. Ersetzen kann die Robbe den Menschen seiner Meinung nach allerdings nicht. „Der zwischenmenschliche Kontakt regt einfach ein deutlich größeres sensorisches Spektrum an als ein Roboter.“
Ersetzen will auch Römisch den Menschen durch die Robbe nicht. Tatsächlich sei sie am Anfang sehr skeptisch gewesen, ob sie Rosi überhaupt anschaffen sollte. „Aber nachdem ich sie im Einsatz gesehen habe, hat sich das geändert.“ Für sie zählt nur eines: „Rosi wirkt beruhigend auf die Bewohnerinnen und Bewohner. Vielen geht es besser, wenn sie sie streicheln können.“ Regeln für den Einsatz der Robbe gibt es dennoch: Ist sie unterwegs – dann immer gemeinsam mit einer Kraft vom Sozialen Dienst. Und wer keine Lust hat, muss nicht mitmachen. Schließlich, das sagt auch Grunwald, ist nicht jeder Mensch gleich kuschelbedürftig. „Da ist der Bedarf sehr unterschiedlich.“
Die Hälfte der Deutschen würde sich von einem Roboter helfen lassen
Pepper richtet sich auf, öffnet seine glänzenden schwarzen Augen, reckt den Hals, als hätte er einen steifen Nacken, ballt die Hände zu Fäusten, und löst sie wieder, fixiert dann sein Gegenüber. „Los sagen Sie mal was, keine Angst“, sagt Frank-Oliver Monen, Betreuungsassistent im Dorothee-Sölle-Haus der Diakonie in Düsseldorf nickt aufmunternd. „Hallo Pepper, wie alt bin ich?“ „Sie… sind… 73… Jahre… alt“ antwortet Pepper mit knarziger Stimme. Gut 20 Jahre verschätzt. Kein Problem, wer wäre nicht gerne noch einmal 73 statt 93. „Und jetzt drücken sie ihm einmal die Hand, hier“, fordert Monen eine andere Bewohnerin auf. „Oh, die ist aber warm“, sagt Pepper, als sich eine Hand vorsichtig in seine schiebt.
Pepper ist für die Düsseldorfer das, was für die Kölner Rosi ist. Kuscheln lässt sich mit diesem humanoiden Roboter, der die Größe eines Kleinkindes hat, nicht ganz so gut, dafür ist er ist er aus viel zu glattem Plastik. Wer Pepper über den Kopf streichelt, muss damit rechnen, dass sich der Roboter schlapplacht oder mit einem „Das kitzelt aber“, kontert. Dafür soll Pepper Menschen auf andere Weise berühren, sie mit Geschichten aufmuntern, mit Ratespielen fordern, ihnen die Fußballergebnisse mitteilen und so für Gesprächsstoff sorgen. Eine Pflegekraft kann auch Pepper nicht ersetzen. „Das wollen wir auch gar nicht“, sagt Monen. „Deshalb muss auch bei Pepper immer ein Moderator dabei sein, der den Roboter bedienen kann.“
Pepper ist ein körperlich gewordenes Gesellschaftsspiel, aber vielleicht auch ein erster Schritt zum flächendeckenden Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Pflege. Die Bundesregierung spricht für diesen Einsatz aus – auch angesichts des erwarteten Pflegenotstands. Unterstützung bekommt sie vom Deutschen Ethikrat. „Roboter können Pflegende körperlich entlasten und Assistenzleistungen erbringen und so die Autonomie pflegebedürftiger Menschen stärken“, erklärt Andreas Kruse vom Deutschen Ethikrat. Rosi nimmt er da nicht aus: „Wenn ein Roboterelement in natürliche Interaktionen eingebunden ist, dann kann es seine positiven Wirkungen gut entfalten. Und die beruhigende Funktion ist eine dieser positiven Wirkungen.“
Tatsächlich kann sich laut einer Umfrage der Techniker Krankenkasse über die Hälfte der Menschen in Deutschland vorstellen, sich von einem Roboter helfen zu lassen, wenn sie körperlich eingeschränkt sind. Allerdings nimmt diese Aufgeschlossenheit laut TK mit dem Alter stark ab: Offen für Hilfe bei der Körperpflege geben sich 55 Prozent der Jungen, aber nur 21 Prozent der Altersgruppe ,Sechzig plus`. Kruse schätzt, dass das auch etwas mit dem ungewohnten Gebrauch zu tun hat: „Viele Menschen haben noch keine Erfahrungen im Umgang mit dieser Technologie gewonnen. Das Gewinnen von Erfahrungen – wie Roboter die Selbst- und Weltgestaltung fördern können – ist aber sehr wichtig für eine differenzierte Einschätzung.“
Fakt ist, dass Roboter noch meilenweit davon entfernt sind, einen Menschen zum Beispiel beim Gang zur Toilette zu begleiten oder beim Aufstehen aus dem Bett die Hand zur Stütze zu reichen. So kann strenggenommen auch Pepper kaum mehr als ein Tablet. Allerdings, das haben Forscher der Uni Siegen herausgefunden, lädt Pepper im Vergleich zum Tablet eher zur Interaktion ein. „Pepper guckt Dich an, er bewegt sich, redet mit Dir – deshalb geben die Menschen ihm einen Vertrauensvorschuss“, sagt Felix Carros, der das Forschungsprojekt an der Uni Siegen begleitet. „Sie glauben, dass Pepper mehr kann als ein Tablet und interagieren mit ihm entsprechend mehr als mit einem Tablet.“ Dass Pepper mit ein paar Gadgets mehr und innerhalb kurzer Zeit vom Gesellschaftsroboter zur Pflegekraft mutiert, hält aber auch Carros für ausgeschlossen: „ Das werden wir so schnell nicht erleben. Roboter empfinden keine Empathie. Empathie ist aber eine der wichtigsten Eigenschaften, die der Pflegeberuf fordert. Ohne sie geht es nicht.“