An der Alfred-Herrhausen-Schule lernen Kinder im Selbstversuch, was es bedeutet Kanzler*in zu sein. Das Spiel ist Teil des Politischen Methodenkoffers, den Schulsozialarbeiter*innen der Diakonie Düsseldorf für verschiedene Schulformen und Altersklassen entwickelt haben.
Eine Wahlbeteiligung von über 80 Prozent? Anders als im echten politischen Betrieb ist das bei den Schüler*innen der Klassen 5 bis 7 der Alfred-Herrhausen-Schule kein gutes Ergebnis, sondern „schon ziemlich schlecht“. Das findet zumindest Leon, der das Amt des Richters übernommen hat. Und der spricht wie im echten juristischen Betrieb auch im Klassenzimmer: Recht. Und er entscheidet: Alle müssen ihre Stimme abgeben, sonst ist die Wahl ungültig. Neuwahlen müssen also her.
Zum Glück können die Neuwahlen sofort einberufen werden. Richter Leon mahnt, die Stimme nicht zu verschenken und teilt neue Wahlzettel aus. Die Klassenkamerad*innen, nein vielmehr die Bürger*innen, beschriften eifrig ihre Zettel und nach der Auszählung der Stimmen ist klar: Die Schüler*innen haben einen neuen Kanzler – bei einer Wahlbeteiligung von 100 Prozent.
Das Demokratie-Spiel ist ein Baustein des Politischen Methodenkoffers, den Thaddäus Targas, Schulsozialarbeiter an der Alfred-Herrhausen-Schule, einer Schule mit den Förderschwerpunkten Lernen sowie emotionale und soziale Entwicklung, und Jasmin Keller, Schulsozialarbeiterin am Annette-von-Droste-Hülshoff-Gymnasium, gemeinsam entwickelt haben. Der Koffer enthält verschiedene pädagogische Methoden für Schulsozialarbeiter*innen, um sich in der Klasse mit politischen Themen zu beschäftigen. Jede Methode ist auf Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersklassen und mit unterschiedlichen Wissensständen anwendbar.
„Die vielen Krisen in der Welt gehen nicht spurlos an den Kindern vorüber. Wir wollen den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit geben, ohne Zeitdruck über ihre Sorgen zu sprechen“, erläutert Targas das Konzept. Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die steigende Inflation, aber auch der rauer werdende Ton in den sozialen Medien, all das verunsichere Kinder und Jugendliche zutiefst. „Viele fühlen sich machtlos. Mit den Angeboten aus unserem Methodenkoffer wollen wir den Kindern bewusstmachen, dass sie dem nicht ausgeliefert sind, sondern ein Mitspracherecht haben und ihre Zukunft selbst gestalten können“, fügt Jasmin Keller an.
Die Schulsozialarbeiter*innen der Diakonie, die im ganzen Stadtgebiet an Schulen beschäftigt sind, können sich den Koffer ausleihen, bzw. einzelne Methoden daraus abrufen. „So können wir rasch reagieren, wenn ein bestimmtes Thema an einer Schule aktuell wird. Etwa wenn an einer Schule in einem Stadtteil mit sozialem Handlungsbedarf die Schülerschaft besonders stark von der Inflation betroffen ist, weil die Eltern sowieso schon mit wenig Geld auskommen müssen“, sagt Targas. „Oder an einer anderen Schule viele Kinder aufgenommen werden, die vor dem Krieg in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind und die anderen Kinder gerne mehr über die Situation in der Ukraine erfahren möchten.“
Zurück zur Wahl an der Alfred-Herrhausen-Schule: Vor der Wahl hatte jede*r der drei Kanzlerkandidat*innen, die sich freiwillig gemeldet haben, sich ein Wahlprogramm überlegen müssen. Die Aufgabe: Es gibt eine Tüte mit Süßigkeiten. Was wirst Du damit tun, wenn Du Kanzler bist? Kandidat 1 versprach in einer eher zurückhaltenden 30-sekündigen Rede, alles gerecht aufzuteilen. Und sein Gegenkandidat? „Die Süßigkeiten bekommen die besten Fußballspieler*innen in der Klasse“, war dessen markiges Wahlversprechen, das wohl auch dem Umstand geschuldet war, nach der Rede von Kandidat 1 ein Kontrastprogramm bieten zu müssen. Das Wahlprogramm von Kandidatin Nummer 3 liegt irgendwo dazwischen: „Süßigkeiten bekommen nur die, die mir ihre Stimme geben. Die anderen gehen leer aus“, so ihr Wahlversprechen. Zwar finde die Wahl im Geheimen statt. „Aber ich vertraue darauf, dass mir jede*r ehrlich sagt, ob er oder sie mich gewählt hat oder nicht.“ Soweit, so Demokratie.
Gewonnen hat am Ende Kandidat 1. Er darf sein Wahlversprechen in die Tat umsetzen und beginnt die Süßigkeiten aufzuteilen. Als er die Schulsozialarbeiter*innen passiert, hält er kurz inne. „Bekommen die Erwachsenen auch was?“ „Das ist Deine Entscheidung“, sagt Jasmin Keller. Der Kanzler zögert nicht, greift in die Tüte und reicht Targas und Keller jeweils eine Handvoll Gummibärchen.
So funktioniert das Demokratie-Spiel
Das Demokratie-Spiel ist eine pädagogische Methode, die es Schüler*innen ermöglicht die Grundprinzipien der Demokratie zu erleben und zu verstehen. Dies sind die Schritte und Elemente der Methode:
- Rollenverteilung: Die Schülerinnen übernehmen verschiedene politische Rollen, darunter die der Richterin oder des Richters, der Kanzlerin oder des Kanzler und der Bürger*innen.
- Wahlvorbereitung: Die Kandidat*innen für das Amt der Kanzlerin oder des Kanzlers müssen im Voraus ein Wahlprogramm entwickeln. Dies kann eine kurze Rede oder schriftliche Versprechen darüber beinhalten, wie sie mit einer metaphorischen Ressource (hier: einer Tüte mit Süßigkeiten) umgehen würden.
- Wahlprozess: Die Schüler*innen nehmen aktiv am Wahlprozess teil, indem sie ihre Stimmen abgeben. Der Fokus liegt auf einer hohen Wahlbeteiligung, um die demokratische Legitimität zu betonen.
- Richterrolle: Eine interessante Komponente des Spiels ist die Rolle des Richters, der über die Gültigkeit der Wahl entscheidet. Dies spiegelt den Einfluss der Justiz und die Bedeutung von Regeln in einer Demokratie wider.
- Neuwahlen: Bei niedriger Wahlbeteiligung werden Neuwahlen einberufen, um sicherzustellen, dass alle Schüler*innen die Möglichkeit haben, ihre Stimme abzugeben und die demokratischen Prinzipien zu festigen.
- Nachbereitung: Nach der Wahl wird das Ergebnis ausgewertet und die Schüler*innen haben die Gelegenheit, über den Prozess zu sprechen. Hier können die Schulsozialarbeiter*innen mit den Schüler*innen reflektieren, was sie aus dem Spiel gelernt haben.
Die Methode des Demokratie-Spiels ermöglicht den Schüler*innen nicht nur ein besseres Verständnis der demokratischen Prozesse, sondern fördert auch die aktive Teilnahme, das Verantwortungsbewusstsein und die Diskussion über politische Themen in einem sicheren und strukturierten Umfeld.