Maren Straub trifft in der Diakonie Fachberatungsstelle für Familien mit Gewalterfahrung auf Menschen mit Borderline-Symptomen. Die Diplom-Pädagogin weiß, wie vor allem Kinder unter den Gefühlsschwankungen ihrer Eltern leiden können.
Frau Straub, ein Symptom für Borderline ist ein sehr impulsives Verhalten. Nun strahlen impulsive Menschen Leidenschaft aus und reagieren überraschend. Macht sie das nicht gerade interessant?
Bei Menschen mit Borderline-Symptomatik können kleinste individuelle Reize schnell zu extrem hoher Anspannung führen und starke Emotionen wie zum Beispiel Wut hervorrufen. Die Betroffenen selbst empfinden das meist als äußerst leidvoll. Das ist nachvollziehbar, denn man geht davon aus, dass das Erleben von innerer Anspannung bei ihnen etwa zehnmal höher ist als bei Nicht-Betroffenen. Sie haben es dadurch sehr schwer, die Kontrolle über ihre Wahrnehmung, ihr Denken und ihr Handeln zu behalten. Impulsive Verhaltensweisen sind häufig die Folge.
Wann werden diese Impulse zum Problem?
Wenn sie ihre impulsiven Handlungen gegen sich selbst etwa im Sinne von selbstverletzendem oder selbstschädigendem Verhalten oder gegen andere richten. Besonders schwerwiegend ist es, wenn Kinder von diesem Verhalten direkt oder indirekt betroffen sind und dadurch ihre gesunde Entwicklung gefährdet ist.
Borderline-Störungen werden in den Medien oft mit prominenten Menschen in Zusammenhang gebracht. Was kennzeichnet diese Krankheit?
Die Borderline-Störung, auch emotional instabile Persönlichkeitsstörung des Borderline-Typs genannt, ist im Wesentlichen gekennzeichnet durch ein tiefgreifendes und überdauerndes Muster von Instabilität in den Affekten, in zwischenmenschlichen Beziehungen und im Selbstbild. Als Leitsymptom der Borderline-Störung gilt die schnell auslösbare extrem hohe innere Anspannung. Betroffenen fällt es meist schwer, ihre Gefühle wahrzunehmen, sie zu differenzieren und angemessen zu regulieren. Gefühle werden entweder gar nicht wahrgenommen oder sehr intensiv erlebt. Im Rahmen dieser emotionalen Extreme versuchen sich Betroffene mit Verhaltensweisen wie zum Beispiel Alkohol- und Drogenkonsum, Selbstverletzungen oder schnellem Autofahren Erleichterung zu verschaffen. Wutausbrüche und Prügeleien als impulsive, nicht steuerbare Reaktionen sind ebenfalls häufig.
Menschen mit Borderline-Störung sind oft unsicher, ihr Selbstwertgefühl eher gering, ihr Gefühl für sich selbst häufig gestört.
Und was löst dieses Verhalten aus?
Auslöser für die extrem hohe Anspannung sind häufig in zwischenmenschlichen Beziehungen zu finden, welche meist sehr intensiv und instabil verlaufen und nicht selten von einem Wechsel der Idealisierung und Abwertung des Beziehungspartners gekennzeichnet sind. Die Angst, verlassen zu werden, und ein verzweifeltes Bemühen, das tatsächliche oder vermutete Verlassenwerden zu verhindern, können ebenfalls Kennzeichen der Borderline-Störung sein. Übrigens zeigt sich bei Menschen mit BorderlineStörung meist auch im Selbstbild eine Instabilität. Sie sind oft unsicher, ihr Selbstwertgefühl ist eher gering, ihr Gefühl für sich selbst häufig gestört. Persönliche Ziele und innere Präferenzen sind ihnen oft unklar.
Wie können Sie Menschen helfen, die zu Ihnen in die Beratungsstelle kommen?
Wir gehen heute davon aus, dass bei der Entstehung der Störung ein Zusammenwirken genetischer, biologischer und psychosozialer Faktoren eine Rolle spielt. Betroffene haben meist in frühester Kindheit und Jugend kein stabiles und feinfühliges Umfeld erlebt, stattdessen jedoch häufig Erfahrungen psychischer, physischer oder sexualisierter Gewalt machen müssen. Mit unserem Gruppenprogramm „Mütter mit starken Gefühlen“ richten wir uns an Mütter mit einer Borderline-Störung oder -akzentuierung, die aufgrund ihrer eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrungen und entsprechender Symptome Schwierigkeiten mit einer entwicklungsförderlichen Erziehung ihrer Kinder haben.
In Anlehnung an ein bewährtes Therapiekonzept (DBT, Anm. der Redaktion) arbeiten die Mütter an ihren Einstellungen und lernen Strategien und Verhaltensweisen kennen, um die Symptome ihrer Erkrankung zu reduzieren. Zum anderen werden sie für die grundlegenden Bedürfnisse von Kindern sensibilisiert, erwerben bindungs- und entwicklungspsychologische Kenntnisse und üben einen Umgang mit ihren Kindern, der ihre Entwicklung fördert. Ziel des Gruppenangebots „Mütter mit starken Gefühlen“, das auch durch begleitende Einzeltherapiesitzungen ergänzt wird, ist also, sowohl die Borderline-Symptomatik und das einhergehende Leid der betroffenen Mütter zu reduzieren als auch mögliche schädigende Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung.