Pressemitteilung

Diakonie warnt: Armut nimmt zu

Nina Haase (Name geändert) musste immer schon mit wenig Geld auskommen. Im Moment lebt sie von Hartz-IV und einem 1,50-Euro-Job. Rund 590 Euro stehen ihr damit im Monat zur Verfügung. Das hat schon vor Corona kaum zum Leben gereicht, aber in den vergangenen Monaten hat sich die Situation für die 60-Jährige noch einmal deutlich verschärft.

„Früher konnte ich mir wenigstens einmal ab und zu eine Kleinigkeit gönnen“, erzählt sie. „Aber mittlerweile ernähre ich mich fast ausschließlich von abgelaufenen Lebensmitteln.“ Belastend, findet sie das: „Ich habe nicht die Hoffnung, dass das irgendwann noch einmal besser wird.“ Sie wünscht sich schon lange, ihre vier Enkel einmal in einen Freizeitpark einzuladen. „Aber das werde ich mir niemals leisten können.“ Sie fühlt sich ausgeschlossen vom Leben und ist enttäuscht vom Staat: „Was nützt es mir, wenn ich drei Monate für neun Euro Bahn fahren kann, wenn ich nicht weiß, was danach kommt?“

So wie Nina Haase geht es derzeit vielen Hartz IV-Empfänger*innen und Menschen mit geringem Einkommen oder kleiner Rente in Düsseldorf. „Immer mehr Menschen, die wir betreuen, erzählen uns, dass sie sich grundlegende Dinge nicht mehr leisten können und dass am Ende des Monats häufig kein Geld für Lebensmittel übrigbleibt“, erklärt Stefanie Volkenandt, Leiterin der Abteilung Beratung und soziale Integration der Diakonie Düsseldorf.

Anzahl der Hilfesuchenden steigt

Auswirkungen habe das auch auf Einrichtungen der Diakonie. „Unser Ziel ist es, den Menschen, die wir betreuen, Perspektiven zu eröffnen und Teilhabe zu ermöglichen“, erklärt Volkenandt. „Wir stellen aber fest, dass dies immer schwieriger wird. Die existenzbedrohenden Nöte nehmen so viel Raum ein, dass an anderes kaum noch zu denken ist.“ Die Anzahl der Menschen, die sich bei der Ev. Tafelausgabe der Diakonie anmeldeten, sei in den vergangenen Monaten stetig gestiegen. „Gleichzeitig beobachten wir, dass die Menge der Lebensmittelspenden zurückgeht, vor allem wenn es um hochwertige Lebensmittel wie zum Beispiel Joghurt geht.“

Prof. Dr. Anne van Rießen, die an der Hochschule Düsseldorf zum Thema forscht, bestätigt diese Einschätzung. Zwar sei die Zahl der SGB II-Empfänger*innen leicht rückläufig, dafür gebe es mehr Menschen, die in instabilen prekären Verhältnissen lebten, sich mit verschiedenen Jobs gerade so über Wasser hielten: „Durch aktuelle Krisen hat sich die Situation von Menschen, die in prekären ökonomischen Situationen leben, noch einmal deutlich verschlechtert. Rund vier Fünftel der Bevölkerung hatte durch Corona wenig bis keine finanziellen Einbußen. Bei armen Menschen sieht das ganz anders aus. Sie sind stärker belastet worden.“

Gleichzeitig führe der Krieg in der Ukraine zu einer neuen Konkurrenz um Güter des alltäglichen Bedarfs. „Menschen, die sowieso immer schon darauf geachtet haben, das Günstigste vom Günstigsten zu bekommen, müssen jetzt die Erfahrung machen, dass der Verteilungskampf am Supermarktregal anders gelöst wird, sprich: Nur wer Geld hat, kann es sich leisten, auf Vorrat zu kaufen – und treibt damit die Preise zusätzlich in die Höhe.“

Die unsichere Lebenssituation wirke sich dabei auch auf den Gesundheitszustand der Betroffenen aus. Denn Armut verursache krankmachenden Stress. „Das Thema bestimmt das ganze Leben und beeinflusst auch die Entwicklung von Kindern negativ. Oft prägt diese Mangelerfahrung die Menschen ein Leben lang.“ 

Nachhaltige Hilfen sind nötig

Dringenden Handlungsbedarf sieht deshalb auch Diakoniepfarrer Michael Schmidt. Die Erzeugerpreise seien laut Statistischem Bundesamt in diesem Monat (im Vergleich zum Vormonat) so stark gestiegen, wie seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1949 nicht. „Die Hartz IV-Sätze sind Anfang des Jahres aber nur um drei Euro (0,7 Prozent) angehoben worden – bei einer Inflation von mittlerweile über sieben Prozent.“ Die Bundesregierung habe zwar reagiert und Einmalzahlungen an Hartz IV-Betroffene sowie den Kindersofortzuschlag beschlossen. „Aber das reicht bei weitem nicht aus und kann nur ein Anfang sein. Denn punktuelle Hilfen können eine schwierige Situation zwar kurzzeitig entzerren, aber Not nicht dauerhaft lindern.“ Eine schnelle Anhebung des Hartz IV-Satzes sei deshalb dringend erforderlich. „Außerdem brauchen wir eine in den Sozialgesetzbüchern verankerte Regelung für soziale Notlagen.“