Thema Wohnen

Der Stadtsoziologe Prof. Dr. Reinhold Knopp erklärt, warum der Wohnungsmarkt angespannt ist - nicht erst seit der Corona-Pandemie und nicht nur in Düsseldorf

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Das Gespräch führte der Düsseldorfer Journalist Thomas Becker

Herr Professor Knopp, wo befinden Sie sich gerade?

Im Homeoffice. Ich habe das Glück, dass ich zwar noch zu meinem Arbeitsplatz in die Hochschule fahren, aber auch zu Hause arbeiten kann. Seminare finden im Moment wegen Corona nur online statt. Da ist es egal, ob ich hier sitze oder im Büro.

Wie hat sich der Stellenwert von Wohnen seit Beginn der Pandemie verändert?

Darüber wird im Moment viel spekuliert, in der Presse, in der Politik, am Küchentisch. Aber es gibt noch wenige belastbare Studien. Aus meinem persönlichen Erleben kann ich sagen: In der Hochschule ist es für einige Kolleginnen und Kollegen entspannter, zu Hause zu arbeiten, weil sie die Anfahrt sparen. Wer Kinder hat und sie per Homeschooling betreuen muss, für den kann das Leben in den eigenen vier Wänden dagegen beschwerlich werden. Das hat viele geschlaucht. Ich gehe davon aus, dass die Corona-Pandemie in Bezug auf Wohnen soziale Spaltungen verstärkt hat, die es schon gab.

Inwiefern würde sich das bemerkbar machen?  

Vor der Pandemie war es bereits so, dass Haushalte mit besonders wenig Einkommen prozentual besonders viel Geld fürs Wohnen ausgegeben haben: Beim ärmsten Fünftel der Haushalte lag der Anteil bei rund 40 Prozent, beim reichsten Fünftel bei nur 13 Prozent des Nettoeinkommens. Die Zahlen wurden im Oktober 2018 erhoben, also vor der Corona-Pandemie. Aber wenn wir sehen, dass viele Erwerbstätige von Kurzarbeit betroffen sind und Selbstständige oft deutlich weniger verdienen, nehmen Mieten als Problem zu, zumal sie in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen sind. Ich kann mir vorstellen, dass Personen und Familien, gerade wenn sie beengt wohnen, in Corona-Zeiten besonders belastet sind.

Hat Corona dazu geführt, dass es in Familien eine Retraditionalisierung der von Rollen gab – es also eher die Frauen sind, die zu Hause bleiben und sich um Kinder kümmern?

Das ist häufig zu lesen. Aber auch liegen mir keine Forschungsergebnisse vor. Es scheint so zu sein, dass Frauen in Rollen zurückgedrängt werden und womöglich aus Verantwortungsbewusstsein mehr als Männer versuchen, im Homeoffice arbeiten. Auch von den Jobs her passt das vielleicht eher. Es gibt nicht so viele Handwerkerinnen. Und Handwerker können kaum im Homeoffice arbeiten.

Wie viel Wohnraum braucht ein Mensch, um sich wohlzufühlen?

In der sozialräumlichen Gliederung der Stadt Düsseldorf, die sehr gut ist und gerade noch erweitert wird, ist der Quadratmeter pro Person ein Indikator für soziale Belastung. Das ist sicher ein Punkt, den man berücksichtigen muss. Auf der anderen Seite hat es aber auch mit der Situation in familiären Beziehungen, in Netzwerken und Nachbarschaften zu tun, wie viel Raum ein Mensch braucht, um sich wohlzufühlen. Wenn ich sage, 40 Quadratmeter muss ein Mensch haben, dann bräuchte eine Familie mit drei Kindern 200 Quadratmeter. Die haben aber nur die wenigsten. Und da muss man sehen, dass wir quantitative Daten in ein Verhältnis setzen zu anderen Ressourcen und sehen, dass sich manche Dinge ausgleichen können.

Wenn ich aus dem Fenster gucke, sehe ich einen Spielplatz. Der ist für viele Familien wie ein verlängertes Wohnzimmer. Ist das so ein Ausgleich?

Ja, neben der Größe einer Wohnung sind auch der Schnitt und eben die sozialräumliche Situation – also die Lage – wichtige Faktoren, die die Lebensqualität bestimmen. Da stellen sich Fragen wie: Ist das Außen für mich eher bedrohlich – sei es wegen des Verkehrs oder wegen sozialer Probleme? Bietet die Wohngegend Möglichkeiten für Begegnungen? Das können Spielplätze, soziale Angebote wie ein Familienzentrum oder Einrichtungen für ältere Menschen sein.

Die Mietpreise sind in Düsseldorf in den vergangenen zehn Jahren um rund 40 Prozent gestiegen, die Immobilienpreise sogar um 60 bis 70 Prozent. Wo sehen Sie Ansätze, diesem Trend entgegenzuwirken?

Zunächst einmal müssen wir sehen: Wohnen ist eine Ware. Sie wird nach Angebot und Nachfrage gehandelt, und das stellt die Bezugsgröße für staatliches Handeln her. In einer sozialen Marktwirtschaft stellt sich natürlich die Frage, inwiefern der Staat eingreift und reguliert. In den letzten Jahrzehnten wurde das laufen gelassen. Lange gab es in Kommunen eine schier unglaubliche Investorenhörigkeit. Das hat zu Spekulationsgeschäften wie im Glasmacherviertel in Gerresheim geführt, wo Baugrundstücke der Stadt mit enormen Gewinnen privat weiterverkauft wurden. Da muss man sich fragen: Was hat die Stadt für eine Wohnpolitik betrieben? Wie ist sie mit ihrem eigenen Grund und Boden umgegangen? Hinzu kommt, dass mit Beginn der Niedrigzinspolitik nach der Finanzkrise im Jahr 2008 unglaublich viel Geld in den Wohnungsmarkt geflossen ist. Auch internationale Kapitalflüsse in Wohnungsgesellschaften haben zugenommen. Häuser und Wohnungen sind für viele zu Betongold geworden.

Und keiner wehrt sich?

Ich habe Versammlungen von Wohnungsgesellschaften erlebt, bei denen Mieter geschrien haben, dass es unerträglich sei, was in ihren Häusern passiert. Dass sie Schimmel in ihren Wohnungen hätten, der Vermieter sich aber in einem anderen Land aufhalte und die Immobilie in kurzer Zeit vier- oder fünfmal verkauft worden sei. In anderen Fällen treiben Wohnungsgesellschaften über Sanierungen die Mieten um mehrere Euro pro Quadratmeter in die Höhe. Das ist der Kontext, in dem wir uns bewegen. Wenn ich rein aus ethischer Sicht draufgucke, würde ich sage: Wohnen darf keine Ware sein. Aber so einfach ist es natürlich nicht.

Wenn Wohnen eine Ware ist, dann scheinen die Möglichkeiten begrenzt zu sein?

Ja. Allerdings gibt es durchaus Ansätze: Ein bundesweites Bündnis, dem unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund und der Paritätische Wohlfahrtsverband angehören, fordert aktuell, dass Mietpreise sechs Jahre lang nicht steigen dürfen, weil sich die Folgen von Corona so lange hinschleppen würden. Dann haben wir in Düsseldorf das „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“. Das sind diejenigen, die in der Stadt den Finger in die Wunde legen – ob das wirklich Eigenbedarfskündigungen sind oder aktuell der Fall einer Wohnungsgesellschaft im Besitz der katholischen Kirche, die Sanierungskosten voll auf die Mieten umlegt.

Was können Kommunen tun?

Beispielsweise städtische Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften und den sozialen Wohnungsbau stärken. Sie sollten ferner dafür sorgen, dass Baugrund nicht verhökert wird. Klar ist auch: Wir brauchen in der Stadt keine Mikroapartments, in denen man für unter 20 Quadratmeter mehr als 600 Euro Kaltmiete bezahlen muss. Wir brauchen Wohnungen, die sich auch Altenpflegerinnen und Altenpfleger, Verkäuferinnen und Verkäufer sowie Polizisten und Polizistinnen leisten können.

Wie steht es um den sozialen Wohnungsbau?

Er kommt nicht nach. Viele Sozialwohnungen sind aus der Zweckbindung rausgefallen, weil Verträge ausgelaufen sind. Dem Trend wurde 2018 in Düsseldorf erstmals entgegengewirkt, indem größere Neubauvorhaben einen bestimmten Anteil von gefördertem Wohnungsbau und preisgedämpftem Bauen vorhalten mussten. Aber nach wie vor fehlen Sozialwohnungen. Es war lange bekannt, wie viele Verträge auslaufen. Man hätte entgegenwirken können, wenn man das gewollt hätte. Aber Kommunen haben sich eben lange für eine Liberalisierungspolitik entschieden und vielerorts aus dem sozialen Wohnungsbau zurückgezogen. Auch die ehemalige Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen ist heute eine völlig private Wohnungsgesellschaft – mit Licht und Schatten. Ich weiß Gutes zu berichten, aber auch sehr viel Schlechtes.

Wie sähe eine perfekte Wohnung aus?

Die Vorstellungen haben sich verändert. Denken wir an den typischen Wohnschnitt der 70 er-Jahre: Die Familie sitzt im großen Wohnzimmer, es gibt zwei Fernsehprogramme und man spielt Halma. Der Frau soll nicht beim Kochen zugesehen werden, daher gibt es eine Durchreiche von der Küche ins Wohn- oder Esszimmer. Dieses Bild vom Leben hat sich natürlich verändert. Wichtig finde ich, dass wir künftig flexible Wohnungsschnitte entwickeln, bei denen man manche Wände versetzen kann und sich die Aufteilung der Räume an verschiedene Lebensphasen anpasst – etwa wenn Kinder größer werden oder
ausziehen. So zu bauen, ist natürlich nicht so einfach wie das herkömmliche „quadratisch, praktisch, gut“, wo die Wohnschnitte immer gleich sind. Aber baulich lässt sich das umsetzen. Und das sollte auch mehr öffentlich gefördert werden.

Und wie wäre diese Wohnung optimal ins Stadtbild eingebunden?

Grundsätzlich sollten wir Wohnräume schaffen, die Beziehungen herstellen. Früher war klar: Die Stadt ist anonym, sie bietet Schutz vor sozialer Kontrolle. Aber das ist mit dem langjährigen Trend zur Individualisierung nicht mehr erforderlich. Heute ist das Thema eher, neue Formen von Nachbarschaft zu finden. Das können etwa Gemeinschaftsräume sein, die verschiedene Haushalte für Spieleabende, gemeinsames Feiern oder Übernachten von Freunden und Familie nutzen können. Wobei man hier auch aufpassen muss: Ich erinnere mich an ein Wohnareal in einer Stadt, das in U-Form angelegt war. Wer zu Besuch kam, konnte von allen gesehen werden. Einer 75-Jährigen war das nicht recht. Sie sagte mir, dass ihr neuer Freund jetzt immer durchs Fenster zu ihr kommen müsse. Das zeigt die Ambivalenz von Gemeinschaft und Rückzugsmöglichkeit, von Freiheit und Nähe.

Gerade ältere Menschen mit geringen Renten haben Probleme, eine seniorengerechte Wohnung zu finden, die sie auch bezahlen können. Sind sie ein Verlierer am Wohnungsmarkt?

Teilweise schon, ja. Ich habe häufig mit Mitarbeitenden der Stadt zusammengesessen und überlegt, wie wir Wohnraum für ältere Menschen schaffen können. Manche leben in einer großen Wohnung im vierten Stock und haben Sorge, dass sie in ihrem Stadtteil keine andere Wohnung mehr finden, weil die Preise so gestiegen sind. Daraus ist ein Projekt wie „Wohntausch“ entstanden, bei dem ältere und jüngere Menschen ihre Wohnung tauschen und so etwas finden, das besser zu ihren jeweiligen Bedürfnissen passt. Am Ende gelingt das aber nur in wenigen Fällen.

Das klingt ernüchternd.

Ja, es gilt vieles unter einen Hut zu bekommen. Beim Wohnen haben wir unheimlich viele Zugänge. Wir haben den demografischen Wandel und eben die Frage: Was machen ältere Menschen, wenn sie nicht mehr in den vierten Stock kommen? Häuser müssen zudem ökologisch gestaltet sein, ohne dass die Mieten explodieren. Ferner muss das soziale Miteinander gefördert werden. In der Stadtforschung gibt es also viele Fragen. Für mich zählt in erster Linie, dass eine Stadtgesellschaft dafür sorgen muss, dass alle sozialen Gruppen Wohnraum bekommen, der einigermaßen angemessen und vor allem auch bezahlbar ist.

Das wäre wünschenswert. Aber am Ende sitzen viele da und finden doch keine adäquate Wohnung.

Aber, und das sehe ich positiv: Wir haben im Zuge der Corona-Pandemie einen Staat erlebt, der bereit war einzugreifen, um einen sozialen Ausgleich zu erreichen. Der Staat hat Milliarden von Euros in die Hand genommen. Das hat gezeigt: Es geht, wenn man will. Man könnte auch beim Thema Wohnen neue Rahmenbedingungen durch gesetzliche Regelungen schaffen. Aktuell ist der Rahmen für Kommunen relativ eng. Wenn Bund und Land aber mehr im Sinne einer wirklich sozialen Marktwirtschaft agierten, hätten Kommunen mehr Handlungsspielräume. Da kann man aus Corona lernen und sagen: Es geht, wenn man will. Aber es wird umso schwieriger, desto mehr Kapital auf den Markt kommt.

Dr. Reinhold Knopp

Prof. Dr. Reinhold Knopp ist Dekan des Fachbereichs Sozial- & Kulturwissenschaften der Hochschule Düsseldorf. Er forscht rund um die Themen Stadtentwicklung und Sozialraumprojekte mit Älteren.

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