Wolfgang Schwart arbeitet seit 25 Jahren in den Wohngruppen der Diakonie. Im Interview erklärt er, wie eine Mehlstauballergie ihn zu seinem Traumjob brachte, warum er gerne an Feiertagen arbeitet und welche die schönsten Momente in seinem Beruf waren.
Herr Schwart, Sie sind Erzieher in einer Wohngruppe für Kinder und Jugendliche. War das schon immer Ihr Traumberuf?
Nach der Schule habe ich eine Ausbildung zum Bäcker gemacht und in diesem Beruf ein paar Jahre in Düsseldorf gearbeitet. Danach bin ich nach Berlin gezogen und habe in der Schokoladenindustrie angefangen. Meine Mehlstauballergie, die ich schon vorher hatte, ist dort erst recht ausgebrochen. Ich habe schnell gemerkt, dass ich meinen derzeitigen Beruf nicht weiter ausüben kann.
Schon in meiner Jugend habe ich nebenbei bei der Kirche gearbeitet und Kochkurse und Konfirmandenkurse begleitet, später dann Jugendfreizeiten beim Deutschen Roten Kreuz und das war der Türöffner in die Welt der Pädagogik.
So kam es dazu, dass ich in Hamburg eine Umschulung zum Erzieher gemacht habe. Ich habe während meiner Ausbildung ein neun monatiges Praktikum im Ballettinternat gemacht und fand das total interessant und habe mir gedacht: Ja, das kannst du dir später gut vorstellen. Vielleicht nicht mit Ballettkindern, aber generell die Arbeit in einer Einrichtung dieser Art. 1996 bin ich dann zurück nach Düsseldorf und habe bei der Diakonie in der Wohngruppe Füchse in einem kleinen Einfamilienhaus im Bingener Weg meine Zeit in Wohngruppen begonnen.
Was macht Ihren Beruf so besonders?
Die Vielfältigkeit! Hier ist man Hausmann, Vater- und Mutterersatz, Hausmeister und noch vieles mehr gleichzeitig. Der Job hat einfach zahlreiche Facetten. Du kommst immer wieder in Kontakt mit den verschiedensten Menschen, Kinder, Eltern, Mitarbeitenden des Jugendamts, Vormündern, Kolleg*innen, andere Leitungen etc. Mir ist neulich erst bewusst geworden, wie viele Leute ich eigentlich schon kennengelernt habe, das war eine ganze Menge. Was meinen Beruf außerdem ausmacht, ist zu sehen, dass es bei uns kein fertiges Produkt gibt. In meiner Zeit als Bäcker habe ich gesehen: Das ist mein fertiges Brot, das sind meine fertigen Brötchen und somit hast du dein Endprodukt. In der Wohngruppe ist das anders: Kinder entwickeln sich immer weiter und es ist schön, ihnen dabei zur Seite zu stehen. Oft hört man auch später mal von dem ein oder anderen Kind, das ausgezogen ist, manche kommen vorbei und erzählen, wie es geht.
Sehen Sie manche Dinge anders an als vor ein paar Jahren?
Ja. Ich gehe mittlerweile viel gelassener an alles ran. Beispielsweise haben wir aktuell eine Praktikantin im Anerkennungsjahr. Ich erzähle ihr ganz transparent alle Seiten dieser Arbeit. Natürlich auch die Sachen, die nicht so schön sind und hier passieren können wie Gewalt, auch gegen Mitarbeiter*innen oder bei Kindern untereinander. Aber auch da versuche ich zu vermitteln, jede Situation aus allen Perspektiven zu sehen. Die Kinder kommen alle mit einem schweren Rucksack bei uns an. Das Ziel ist es, dass wenn sie und wieder verlassen, der Rucksack ein bisschen leichter und kleiner geworden ist und einige Sorgen und Ängsten zurückgelassen werden konnten. Natürlich hat jeder mal Tage, an denen er sich denkt: ,,Oh, was war das heute für ein Tag!“, aber im Großen und Ganzen ist es wichtig, positiv auf die Welt zu gucken. Man sollte in diesem Job keine Angst haben, sondern eher gut gestimmt einsteigen, gerade auch in der schwierigen Zeit heute, mit immer wieder neuen Herausforderungen wie Corona.
Was würden Sie Menschen mitgeben, die in diesen Beruf anfangen wollen?
Vor allem flexibel zu sein, denn unsere Arbeitszeiten variieren immer. Wir arbeiten an Wochenenden, in den Ferien und an Feiertagen, aber auch das bekommt man belohnt, indem man sieht, wie viel Freude die Kinder an diesen Festen haben. Ich arbeite zum Beispiel ganz gerne an Silvester, weil ich so mit den Kindern gemeinsam feiern, das Feuerwerk anschauen und selber mitböllern kann. Die Kinder wissen, ich bin da, und wir erleben das zusammen. Es gibt ein Buffet, man ist beisammen, und die Kinder spüren das Leben.
Können Sie sich vorstellen, diesen Beruf bis zu Ihrer Rente auszuüben?
Vorstellen kann ich mir das auf jeden Fall, aber ich weiß auch, dass ich rechtzeitig die Handbremse ziehen würde, wenn es nicht geht. Ich habe immer gesagt, ich möchte hier nicht mit einem Stock rumlaufen. Im Moment geht es mir gut, ich komme morgens aus dem Bett, bin gesund und kann noch alle Treppen hoch und runter laufen. Ich bin mir aber auch bewusst, dass sich das plötzlich ändern kann. Ich habe jetzt noch zehn Jahre vor mir liegen. Mal sehen, ob alles so läuft wie ich es mir wünsche.
Ist Ihnen ein bestimmtes Erlebnis besonders in Erinnerung geblieben?
Das Miteinander ist es vor allem! Ich habe eine Erinnerung, die ich nie vergessen werde, die genau dieses Gefühl gut vermittelt. Als ich damals noch in der Wohngruppe am Bingener Weg gearbeitet habe, gab es gegenüber der Wohngruppe eine Kneipe. Irgendwann hat die Besitzerin mal gefragt, was wir dort drüben eigentlich machen und wer wir sind. Wir stellten uns als Wohngruppe der Diakonie vor und kamen so in Kontakt. Die Leute waren relativ neu in der Kneipe und sagten dann: „Ja, da müssen wir doch irgendwas machen. Wollen wir nicht mal ein Fest feiern?“ So haben wir ein ziemlich großes Straßenfest organisiert, und es wurde gefeiert mit Livemusik. Der Erlös ging an die Wohngruppe. Aktionen wie diese sind genau solche Dinge, bei denen ich denke: Ja, richtig toll! Manchmal sind es auch die kleinen Momente und Erinnerungen, bei denen ich manchmal nachts im Bett liege und mir denke: ,,Wow! Diese Kinder durfte ich schon miterleben und begleiten.“