Dass sie einen Sohn bekommen würden, haben die Sannas* erst sieben Wochen vor dessen Geburt erfahren. Beim zweiten Kind musste es sogar alles noch schneller gehen. Ein Erfahrungsbericht.
Kinderbett, Wickelkommode, Kinderwagen. Kurz bevor Karl* geboren wurde, standen diese Dinge alle noch im Laden. Bezahlt, aber nicht abgeholt. „Wir hatten Sorge, dass es vielleicht doch nicht klappt und wir die Sachen zurück ins Geschäft bringen müssen. Das wäre schrecklich gewesen“, erklärt Theo Sanna. Dass sie einen Sohn bekommen würden, haben die Sannas sieben Wochen vor dessen Geburt erfahren. Sie waren gerade aus dem Urlaub zurückgekehrt. Abends entdeckten sie den Anruf von Ulrike Specht von der Adoptionsvermittlung der Diakonie auf dem Anrufbeantworter. Sie hatten eine Notfallnummer von Ulrike Specht. Aber sollten sie anrufen? „Nein. Das ist kein Notfall“, sagte Nina Sanna*. „Doch. Ich will wissen, was los ist. Das ist ein Notfall“, sagte Theo Sanna. Sie schrieben eine SMS mit der Mitteilung, dass sie nun wieder erreichbar seien.
Eine schlaflose Nacht später kam dann früh am Morgen der Rückruf: „Wir hätten da ein Kind für Sie.“ Endlich.
Vielleicht in ein paar Jahren …
Nina und Theo Sanna sind beide in Großfamilien aufgewachsen. Nina hat drei und Theo zwei Geschwister. Beide wünschten sich Kinder. „Und ich wusste immer, dass wir Kinder haben werden“, sagt Theo Sanna. Selbst als es dann nicht klappte mit dem Nachwuchs. Die Idee, ein Kind zu adoptieren, kam von Nina Sanna. „Wir hatten das ganze Programm durch, inklusive Besuch im Kinderwunschzentrum“, sagt sie. „Ich habe dann relativ schnell gedacht: Das brauche ich alles nicht.“ Nina Sanna hat eine Freundin und eine Kusine, die adoptiert sind. „Deshalb war das mit der Adoption für mich ganz normal.“ Theo brauchte ein wenig länger, um sich mit dem Gedanken anzufreunden. Er hatte Angst, etwas zu verpassen: „Die neun Monate bis zur Geburt, die ersten Tritte des Babys im Bauch, der Stress, wenn die Wehen einsetzen und ich meine Frau ins Krankenhaus fahre.“ Doch je länger er sich mit dem Thema beschäftigt habe, desto irrelevanter sei das für ihn geworden. „Und irgendwann war klar: Wir machen das.“
Die Sannas besuchten Seminare der Adoptionsvermittlung der Diakonie, schrieben ihren Lebenslauf, einen Stammbaum, was sie als Paar zusammenhält, und führten Gespräche und noch mehr Gespräche. Unangenehm sei ihnen das nie gewesen. Sie hätten das eher als Bereicherung empfunden, als Gelegenheit, sich mit sich selbst und dem, was sie als Paar ausmacht, auseinanderzusetzen. Schwierig sei einzig und allein gewesen, den Fragebogen auszufüllen, in dem sie angeben konnten, welche Vorstellungen sie vom Adoptivkind haben: Alter, Geschlecht, Nationalität, Krankheit. „Das war irgendwie komisch. Wir wollten nichts weglassen, mussten uns aber auch mit der Frage auseinandersetzen, was wir uns zutrauen und was wir uns vorstellen können.“ Irgendwann war auch das erledigt. „Na ja“, dachte Nina Sanna damals, „in zwei, drei Jahren werden wir vielleicht ein Kind haben.“
„Ich habe ihn sofort geliebt“
Tatsächlich klingelte das Telefon schon ein paar Wochen später. Ein sehr junges Mädchen war ungewollt schwanger geworden, das Kind wollte sie zur Adoption freigeben. Die Sannas sagen sofort: „Ja.“ Sie führen wieder Gespräche, diesmal auch mit der Mutter des Kindes. Sieben Wochen hatten die Sannas Zeit, sich auf das neue Familienmitglied vorzubereiten, Mitte September* war es dann so weit. Karl* kam per Kaiserschnitt zur Welt. „Ich habe mich sofort in ihn verliebt“, erzählt Nina Sanna. Eigentlich sollte die kleine Familie noch eine Woche im Krankenhaus bleiben. Doch Karl ging es gut, er durfte sofort nach Hause. „Ich habe dann erst einmal gesagt: Das geht doch nicht“, erinnert sich Theo Sanna und lacht. „Ich dachte, so ein kleines Kind, das kann man doch nicht einfach mit nach Hause nehmen.“ Sie blieben noch eine Nacht im Krankenhaus, dann ging es für die kleine Familie nach Hause. Acht Wochen mussten sich die Sannas danach noch gedulden, bis Karl wirklich zu ihnen gehörte: So lange hatte die Mutter noch Zeit, es sich anders zu überlegen.
Familienzuwachs über Nacht
Seit rund einem Jahr, rund viereinhalb Jahre nach Karls Geburt, sind die Sannas nun zu viert. Matz kam am 20. Januar* zur Welt, die Mutter hat anonym geboren, sprich: Die Sannas wissen nichts über sie. Viele Eltern scheuen sich, ein Kind zu adoptieren, bei dem so wenig zum Hintergrund bekannt ist. Die Sannas nicht. Als der Anruf kam, ob sie sich vorstellen könnten, ein weiteres Kind zu adoptieren, mussten sie darüber keine Sekunde nachdenken. Diesmal musste alles noch schneller gehen: Nur einen Tag hatten die beiden Zeit, alles vorzubereiten, Milchpulver, Flaschen, Windeln Feuchttücher zu besorgen und Karls alte Babysachen aus dem Keller zu holen, sich einen Namen für das Kind zu überlegen und vor allem: Karl zu sagen, dass er einen Bruder bekommen würde. „Karl, möchtest du einen kleinen Bruder haben?“, fragte Nina ihren Sohn am Vorabend. „Ja“, sagte Karl. „Gut“, sagte Nina. „Dann holen wir ihn morgen ab.“ Theo und Nina und Karl und Matz sind jetzt eine Familie. Auch wenn Matz noch nicht den Familiennamen trägt, sondern einen, den das Jugendamt für ihn ausgesucht hat. Denn bei anonymen Geburten hat die Mutter noch ein Jahr Zeit, das Kind zurückzufordern. „Wir denken da schon manchmal drüber nach. Aber wir haben auch so viel zu tun, dass das nicht allzu viel Raum einnimmt“, erklären die Sannas. Sie machen sich auch Gedanken, wie es später sein wird. Wenn Karl und Matz in die Pubertät kommen und wissen möchten, woher sie stammen. „Wir gehen sehr offen mit dem Thema um, wir haben Bücher mit Erinnerungen angelegt und erzählen Karl von seiner Mutter“, berichtet Nina Sanna.
Ein wenig traurig macht sie, dass Matz nie die Möglichkeit haben wird, seine Mutter kennenzulernen – und nur das von seiner Mutter weiß, was die Hebamme für ihn über sie aufgeschrieben hat. „Deshalb bin ich sehr froh, dass Karl und Matz sich gegenseitig haben.“ Denn Karl geht mit der Adoption ebenso offen um wie seine Eltern. Na, möchtest du denn noch ein Geschwisterchen haben?“, wurde der Vierjährige vor kurzem gefragt. „Das weiß ich nicht, da müssen wir erst Frau Specht fragen“, war seine selbstbewusste Antwort.
* Namen von der Redaktion geändert
Foto von picsea auf unsplash.com