Jede dritte Ehe wird geschieden, oft sind Kinder mit im Spiel. Wie es Eltern gelingen kann, die Trennung oder Scheidung so zu gestalten, dass die Kinder nicht darunter leiden, haben wir unsere Ev. Beratungsstellen gefragt.
Wenn sich Paare trennen, leiden oft auch die Kinder. Was können Eltern in einer solchen Situation für ihr Kind tun?
Grundsätzlich kommt es immer darauf an, auf welchen Boden eine Trennung fällt. Wenn die Eltern sich vorgenommen haben, für die Kinder zu kooperieren – und ihnen das auch gelingt – dann ist damit schon einmal ein wichtiger Schritt getan. In der klassischen Familie gibt es in der Regel immer einen Elternteil, der einen engeren Bezug zum Kind hat als der andere. Eine Herausforderung liegt dann darin, dass der andere Elternteil lernt, eine eigenständige Beziehung zum Kind zu entwickeln.
Auf der anderen Seite klagen viele Elternteile nach einer Trennung über mangelnde Einflussmöglichkeiten.
In der Regel hat ein Elternteil das inne, was wir eine Türsteher-Funktion nennen. Wenn Kinder überwiegend bei einem Elternteil leben, bestimmt dieser oft, wie viel Kontakt der andere Elternteil zu ihnen hat und gestaltet so dessen Beziehung zu den Kindern. Für den Elternteil, der weniger Einfluss-Möglichkeiten hat, ist diese Situation oft sehr belastend. Im Lockdown hat sich das Problem noch einmal verschärft, weil viele Familiengerichte geschlossen hatten und sich die Umgangsregelung – wenn sie strittig war – oft über Monate nicht gerichtlich entscheiden ließ. Für die umgangsberechtigten Elternteile – in diesem Fall meist die Väter – stand dabei immer die Sorge im Raum, dass die Kinder sich in dieser Zeit von ihnen entfremden oder der Kontakt ganz abbrechen könnte. Die Elternteile wiederum, bei denen die Kinder den Lebensmittelpunkt haben – meist die Mütter – wurden von der Doppelbelastung Beruf und Familie oft nicht durch die Umgangskontakte der Kinder mit dem anderen Elternteil entlastet. Diese Herausforderungen sind oft neu und anspruchsvoll und benötigen Zeit, um dafür passende Antworten zu finden. Denn schließlich kann nur eine Lösung eine gute sein, wenn sie gut für die Kinder und beide Elternteile ist.
Wie kann denn eine Kooperation im Sinne der Kinder funktionieren?
Es kann sehr hilfreich sein, wenn Eltern sich damit beschäftigen, wie ein Rollenwechsel weg vom Liebespaar hin zum Elternpaar gelingen kann und sich klar machen: „Wir definieren uns jetzt nicht mehr durch unsere Liebe oder unseren Hass zueinander, sondern durch die gemeinsame Verantwortung für unsere Kinder. Denn die Kinder sind es, die uns noch miteinander verbinden.“ Die Aufgabe der Eltern liegt also darin, sich bewusst zu machen, dass es im Sinne der Kinder ist, sich möglichst gut zu verstehen.
Das ist vermutlich aber gar nicht immer so einfach?
Zum einen besteht eine große Gefahr darin, die Anteile des anderen Elternteils im Kind abzulehnen. Das geht oft nach hinten los, da das Kind beide Eltern lieb hat und sich nicht entscheiden möchte. Eltern in Trennung müssen lernen, sich innerlich zu distanzieren und die Konflikte auf Paarebene zu trennen von den Konflikten auf Elternebene. Dazu gehört auch, dass man sich erst einmal selbst neu finden und sich fragen muss: „Was an der Beziehung zum anderen Elternteil möchte ich auch weiterhin bewahren, abgesehen davon, dass ich ein Kind mit dem anderen habe?“ Es war ja nicht alles schlecht, auch wenn es im Moment so auf mich wirkt. Da eine Lösung für sich zu finden, ist nicht leicht, zumal es bei einer Trennung immer einen Elternteil gibt, der eher Verlierer und einen, der eher der Gewinner ist.
Gewinner – Verlierer – ist das nicht eigentlich egal?
Wenn Kinder sich entscheiden müssen, bei welchem Elternteil sie leben möchten, orientieren sie sich oft unbewusst am Gedankenkonstrukt, dass es eine*n „Verlierer*in“ gibt. Damit einher geht, dass das Kind sich wünscht, dass die oder der Verlier*in nicht alleine bleiben soll. Dann kann es passieren, dass ein Kind sich „opfert“ und zu dem Verlierer-Elternteil zieht, obwohl es eigentlich für seine Entwicklung besser gewesen wäre, wenn es bei dem anderen Elternteil geblieben wäre.
Es gibt ja mittlerweile auch ein Wechselmodell, bei dem Kinder abwechselnd zu gleichen Teilen bei beiden Elternteilen leben.
Ein Wechselmodell kann nur funktionieren, wenn das Kind das Modell mitträgt und die Eltern ein Team bilden wollen, das sich die Erziehungsverantwortung teilt und dem anderen vertrauen, es genauso gut zu meinen wie man selbst. Sie sollten zudem verstehen, dass der ständige Wechsel von einem Zuhause in das andere für das Kind jedes Mal mit einem Abschiedsprozess verbunden ist. Meine Kolleg*innen hören zuweilen Sätze wie: „Wenn der Julian vom Vater nach Hause kommt, dann ist der immer total durch den Wind, dann ist der zu nichts zu gebrauchen, ich weiß gar nicht, was die beiden da machen.“ Dass das Kind Verlustängste hat und traurig ist, weil es den Vater nicht sehen kann, weil die Familie nicht mehr zusammen ist, weil es nicht nur ein Kinderzimmer hat, sondern zwei und sich ständig zweiteilen muss, und die Ganzheitlichkeit einer klassischen Familie gar nicht mehr erlebt – das sieht man als alleinerziehende Mutter im ersten Augenblick nicht unbedingt. Da braucht es eine gewisse Reflexionsfähigkeit.
In den Kinder-im Blick-Kursen in den Ev. Beratungsstellen unterstützen sie Eltern bei diesem Prozess. Wir funktioniert das?
Der Kinder-im-Blick-Kurs beinhaltet drei Schwerpunkte: Die Beziehung zu mir selbst im Sinne von guter Selbstfürsorge, z.B. als Elternteil, das hauptsächlich mit dem Kind zusammenlebt und dadurch in der Erziehung quantitativ stärker in Anspruch genommen wird. Und den Rollenwechsel vom Liebes- zum Elternpaar und den damit verbundenen Herausforderungen und Chancen sowie die Kunst, bei all dem das Kind mit seinen auch unausgesprochenen Bedürfnissen und Ängsten nicht aus den Augen zu verlieren. In den sechs bis sieben Kurseinheiten begegnen sich die beiden Elternteile nicht. Sie können aber parallel unterschiedliche Kurse besuchen, in denen sie Techniken des Umgangs miteinander lernen. Also zum Beispiel, wie sie ein Telefongespräch durch nachfragen verlangsamen und so miteinander reden können, ohne dass das Gespräch direkt wie früher eskaliert. Das Kind ist bei den Kursen nicht dabei. Es ist aber klug, es darüber zu informieren, denn das zeigt dem Kind: Deine Eltern beschäftigen sich gerade mit einer Neuaufstellung der Familie, die anders sein wird als früher. Aber sie sind dabei, die bestmögliche Lösung zu finden – und Verantwortung für sich und Dich zu übernehmen.
Foto: Daiga Ellaby on unsplash