Im Stadtteilladen der Diakonie in Düsseldorf-Flingern gibt es Unterstützung bei den Hausaufgaben. Bei den Kindern im Stadtteil hat sich das rumgesprochen wie ein Lauffeuer.
Salim* zieht Matthias Kaliebe ungedulig am Ärmel: „Hi Matthias, sag mal schnell, wie lautet hier die Lösung?“ Er deutet auf sein Hausaufgabenheft und liest laut vor: „Wo wurden Burgen gebaut?“ Matthias lässt sich nicht erweichen. „Das weißt du doch selbst, du hast den Text gelesen.“ „In Europa?“, rät Salim. „Hmmm“, sagt Matthias nachdenklich. „Denk doch mal ein bisschen kleiner. „Ach so, auf Bergen!“ „Richtig! Und wo noch?“ „An Flüssen!“, erklärt der Zehnjährige selbstbewusst und schreibt hastig die Lösungen auf sein Hausaufgabenblatt.
In der Arbeit hatte ich dann eine Drei
Salim nimmt am Projekt „Shufi - Bildungsbrücken für Flingern“, der Hausaufgabenhilfe des Stadtteilladens der Diakonie teil. Dreimal in der Woche kommt er vorbei, um sich vom 26-jährigen Matthias bei den Hausaufgaben helfen zu lassen. Anfangs eher unfreiwillig. Salim hatte einen Freund aus der Schule im Stadtteilladen entdeckt. Der stürmte sofort nach draußen und lud ihn zum Mitmachen ein. „Wir boxen hier und spielen Fußball“, sagte der Freund. Das war glatt gelogen. Kein Fußball, kein Boxen – Salim blieb trotzdem. Warum? „Na ja, ich finde das einfach gut hier.“ Matthias habe mit ihm geübt, einen Krimi zu schreiben. „Und in der Arbeit hatte ich dann eine Drei.“ Er grinst stolz. Jetzt kommen auch seine Geschwister in den Stadtteilladen. Salim hat sie dazu überredet. Auch sie sind geblieben.
Die Hausaufgabenhilfe ist bei den Kindern so beliebt, dass nicht alle am Projekt teilnehmen können, die gerne möchten.
32 Kinder sind beim Projekt dabei. Sie schauen im Stadtteilladen vorbei, um das freie W-LAN fürs Homeschooling zu nutzen, sich bei den Hausaufgaben helfen zu lassen oder um einfach einmal Ruhe vor den „nervigen“ kleineren Geschwistern zu haben und für die Schule lernen zu können. Während des Lockdowns unterstützten die Lernpat*innen die Kinder auch digital, später kamen sie dann einzeln und im Stundentakt von morgens bis in den späten Nachmittag. Seit der Öffnung der Schulen lernen sie wieder gemeinsam in der Gruppe. Die Hausaufgabenhilfe ist bei den Kindern so beliebt, dass nicht alle am Projekt teilnehmen können, die gerne möchten. Es gibt eine Warteliste. „Wenn wir sehen, dass Not am Mann ist, machen wir aber auch Ausnahmen“, sagt Sibylle Kusakis.
Not am Mann: Das bedeutet zum Beispiel, dass die Kinder sich zu Hause Arbeitsplatz und Geräte mit den Geschwistern teilen müssen, die Technik fürs Homeschooling fehlt oder die Mütter alleinerziehend sind und sich aufreiben zwischen Homeoffice und Homeschooling. Die Kinder, die bei der Hausaufgabenhilfe dabei sind, stammen aus Familien, in denen Deutsch nicht Muttersprache ist oder deren Eltern aufgrund mangelnder Schulbildung kaum oder gar nicht lesen können. Zu Hause fehlt es oft am Nötigsten: am Geld, natürlich. Und an allem, was damit zusammenhängt. Ausreichend Raum zum Beispiel, um sich in der Pandemie auch einmal zurückziehen zu können, wenn die anderen Familienmitglieder einem auf die Nerven gehen. „Eine Mutter war richtig glücklich, dass sie endlich wieder kochen und sich um den Haushalt kümmern konnte, ohne dass die Kinder ihr um die Füße springen“, erzählt Kusakis.
Es sind aber auch die kleinen Dinge, bei denen die Mitarbeitenden die Familien unterstützen
Die Hausaufgabenhilfe hilft auch dabei, in Kontakt mit den Eltern zu kommen und zu bleiben. So können die Mitarbeitenden schnell erkennen, wo die Kinder und Familien auch jenseits von Hausaufgaben Unterstützung benötigen. Sei es bei der Beantragung von finanziellen Hilfen, bei der Suche nach einem Arzt, der die Muttersprache spricht, oder wenn es in der Schule Probleme gibt und eine Vermittlung nötig ist. „An den Schulen fehlt leider manchmal die Sensibilität für die besondere Situation, in der sich die Familien befinden“, sagt Kusakis. „Wir haben eine Familie betreut, die aus Syrien geflüchtet war und nun alle Hoffnung auf die Tochter setzte. Als es dann knallhart hieß, dass die Tochter nur den Realschulabschluss schaffen und niemals Ärztin werden wird, war das für alle Beteiligten schwer zu verkraften. Wir haben aufgezeigt, was trotzdem geht: zum Beispiel eine Ausbildung als Arzthelferin.“
Es sind aber auch die kleinen Dinge, bei denen die Mitarbeitenden die Familien unterstützen. Für den Jungen, der sich immer als Erstes ans Piano setzte, als er in den Stadtteilladen kam, organisierten sie Klavierstunden. Dem Mädchen, das unbedingt Fußball spielen wollte, verhalfen sie zu einer Mitgliedschaft im Fußballverein und – statt schlecht sitzender Second-Hand-Ware – zu neuen Fußballschuhen, die wie angegossen passen. „Über das Teilhabegesetz ist vieles möglich, aber man muss sich dahinterklemmen“, sagt Kusakis. Selbst die Mitarbeitenden kommen dabei manchmal an ihre Grenzen: „Die Mitgliedschaft im Fußballklub wird finanziert – will ein Kind Hockey spielen oder fechten, sieht das schon ganz anders aus.“ In solchen Fällen greift der Stadtteilladen auf Spenden zurück, um die Kinder zu unterstützen. „Anders lässt sich das nicht finanzieren.“
Salim hat im Moment keine besonderen Pläne. Er ist einfach froh, dass er mit anderen Kindern zusammen sein kann – und sei es auch nur um Hausaufgaben zu machen. Als er das Hausaufgabenheft in die Tasche gleiten lässt, kann er trotzdem noch das tun, wozu er ursprünglich hergekommen war: Fußballspielen. Im Nebenraum gibt es eine Spiellandschaft mit Schaumstoffwürfeln, die als Tore herhalten, und einen Ball zum Kicken. Wild herumtoben, vor Begeisterung schreien, zu lauter Musik tanzen. „Das muss einfach auch einmal sein, gerade in Pandemie-Zeiten“, sagt Matthias.
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