Fünf Jahre ist es her, dass eine große Anzahl geflüchteter Menschen in Düsseldorf Hilfe suchte. Und der Hilfebedarf weltweit ist weiterhin groß. Wie ist die Situation in den Unterkünften heute? Wir haben Amelie Ohren, die Geflüchtete in den Unterkünften berät, einen Tag lang begleitet.
Zwei Männer lehnen geduldig wartend an dem Treppengeländer vor der Türe mit der Aufschrift „Büro/Verwaltung“. Einer tippt auf seinem Handy, der andere hält einen Stapel Papiere in der Hand. Eine junge Frau schiebt ihr leise quengelndes Baby beruhigend im Kinderwagen vor einer roten Containerwand auf und ab.
Hinter der Türe, durch eine Plexiglasscheibe von dem Raum für Besucherinnen und Besucher getrennt, bringen Amelie Ohren und ihre Kolleginnen und Kollegen von der Sozialberatung für Geflüchtete in den städtischen Unterkünften der Diakonie und von der Verwaltung der Unterkunft, die von der Stadt betrieben wird, sich gegenseitig auf den aktuellen Stand: Gibt es möglicherweise Konflikte zwischen Bewohnerinnen und Bewohnern, die sich ein Zimmer teilen? Wurden die Reste der kindlichen Wasserschlacht in der Gemeinschaftsküche beseitigt? Haben sich die Ämter zu Einzelfallanfragen zurückgemeldet? „Wir arbeiten sehr gut und vertrauensvoll mit den Verwaltern zusammen“, erzählt Amelie Ohren. „So können wir noch schneller auf Anfragen der Bewohnerinnen und Bewohner reagieren.“
Dokumente beschaffen, Wohnung suchen
Die junge Frau ist als erste dran. Weil die Treppe mit dem Kinderwagen schwer zu erklimmen und das Wetter gut ist, berät Amelie Ohren sie vor der Türe. Es geht um die Geburtsurkunde des Babys. Ohren sagt der jungen Frau zu, Kopien von ihren Papieren anzufertigen und diese erneut via E-Mail an das Standesamt zu schicken, damit die Urkunde hoffentlich endlich ausgestellt werden kann. „Eigentlich benötigt das Standesamt Originale, aber die werfen Sie ja nicht ohne Weiteres in den Briefkasten, und Termine werden zum Infektionsschutz aktuell kaum vergeben.“
Das nächste Gespräch findet hinter dem mit einer Plexiglasscheibe versehenen Schreibtisch im Büro statt. Ohren schiebt das Handdesinfektionsmittel zur Seite und schlägt ihr Notizbuch auf, um das Beratungsgespräch und die damit verbundenen Aufgaben zu dokumentieren. Seit sechs Jahren sei der Mann schon in Deutschland, finde in Düsseldorf aber trotz Wohnberechtigungsschein keine eigene Wohnung für seine achtköpfige Familie. „Mein ältester Sohn macht seine Hausaufgaben am Boden, während die Kleinen darüber rennen“, erzählt er. Einen Anruf später verlässt der Familienvater das Büro mit einem, auf einen gelbem Klebezettel notierten Termin bei einer Kollegin der Wohnraumvermittlung der Diakonie.
Der nächste Bewohner ist an der Reihe. Durch ein Fenster in der Plexiglasscheibe tauscht er einen Antrag auf Verlängerung seiner Krankenversicherung gegen Amelie Ohrens „Corona-Liste“, in die sich alle Klientinnen und Klienten zur Nachverfolgung der Beratungskontakte mit Namen und Zimmernummer eintragen müssen. Ohren liest sich den Antrag durch und füllt die fehlenden Punkte gemeinsam mit dem Bewohner aus. „Das Schreiben müssen Sie nur noch abschicken, dann ist das Thema abgeschlossen“, erklärt Amelie Ohren, erfreut, dass sich die Angelegenheit für diesen Klienten so schnell klären ließ. Bei vielen anderen Anliegen sei deutlich mehr Geduld gefragt. „Manchmal kann es Wochen oder Monate dauern, bis eine Lösung gefunden ist – etwa wenn es um die Erstellung von Geburtsurkunden, den Erhalt von Sozialleistungen oder die Kontaktaufnahme mit Ämtern geht, die stark frequentiert sind.“
Die Liste der Anfragen ist lang und so vielfältig wie die Menschen in der Unterkunft – ausgelegt für 245 Menschen, derzeit zu zwei Dritteln belegt –, so vielfältig sind auch ihre Fragen: von der Terminvermittlung für Fachberatungen, Arztbesuche oder Sprachkurse bis hin zu Hilfe bei der Wohnungssuche, dem Ausfüllen von Formularen oder der Kontaktaufnahme zu Behörden ist alles dabei.
Der nächste Ratsuchende lebt erst seit kurzem in Düsseldorf und versteht noch kaum Deutsch. Deshalb ruft er bei einem Bekannten an, der bei aktivierter Lautsprecher-Funktion des Smartphones übersetzt. Eine gängige Notlösung, da Dolmetscherinnen und Dolmetscher für die Beratung nicht immer ad hoc zur Verfügung stehen. Der Mann hat einen Einschulungsantrag für seine Tochter dabei, in welchen Amelie Ohren rasch die Wunschschulen des Kindes einträgt und zum Kopierer zwei Zimmer weiter mitnimmt, vorbei an dem Wartebereich im Nachbarraum, aus dem Stimmengewirr dringt.
Wir finden immer Wege, um zu helfen.
Das nächste Gespräch führt Amelie Ohren auf Französisch – keine Seltenheit bei zwei Beratungstagen die Woche mit je durchschnittlich 10-15 Einzelgesprächen und Klientinnen und Klienten aus den unterschiedlichsten Herkunftsländern. Während das sechs Monate alte Baby der französischsprachigen Klientin unbeeindruckt mit seinen Füßen spielt und leise vor sich hin blubbert, kümmern sich die Erwachsenen um eine fehlende Meldebescheinigung.
Vor der Türe warten bereits die nächsten Bewohnerinnen und Bewohner. Für jede gelöste Anfrage scheint irgendwo in der Unterkunft eine neue aufzutauchen. „Ich weiß morgens nie, was auf mich zukommt, aber genau das macht die Arbeit so spannend und für mich reizvoll“, berichtet Amelie Ohren, „Und wir finden immer Wege, um zu helfen.“ Vorbei ist der Tag für sie nach den Sprechstunden noch lange nicht: Die Nachbereitung nimmt viel Zeit in Anspruch: Schließlich müssen die Vorgänge auch noch dokumentiert und nachverfolgt werden.