dialog No. 9 37 nach Farbe sortiert, kurz noch mit einer Schülerin spricht, dann noch einmal losmuss. Jacobi wirkt energisch, seit drei Jahren ist sie an der Schule und freut sich über jeden neuen Tag. „Wenn die Kinder sich zum Beispiel nur mit Fanta und Chips eindecken, obwohl die Geschäfte in den nächsten Tagen zu haben, dann muss man sich echt auf die Lippen beißen“, sagt sie. Oder wenn sie der Meinung sind, dass dieser Weg der richtige ist. Oder wenn sie sich entscheiden, lieber eine lange Pause zu machen und nicht auf das Wetter zu achten. „Diese Touren können auch scheitern und gegen die Wand fahren, aber das ist in Ord- nung“, sagt sie. Es muss aber nicht immer eine Reise sein, manche planen und üben ein Musical ein, andere bauen einen Abenteuerspielplatz auf, wieder andere helfen auf einem Bauernhof. „Am besten ist es, wenn sie gemeinsam eine schwierige Erfahrung durchstehen müssen“, sagt Maria Jacobi. Wenn bei der Wanderung durch die Alpen das Wetter so schlecht ist, dass sie sich an den Händen halten und sich gegenseitig motivieren. Wenn sie in ein Dorf kommen und bei den Bauern um Wasser oder einen Schlafplatz bitten. „Und sie lernen sich besser kennen“, sagt sie. Einer, der vorher erst der Außenseiter war, konnte sehr gut kochen. Die anderen haben ihn angebettelt, dass er die Kocherei übernimmt, dafür würden sie sein Zelt immer aufbauen. Oder wieder ein anderer, sonst ruhig und schüchtern, der auf einmal die anderen motivierte, der die Kühe verscheuchte, als diese in die Zelte schauen wollten. Oscar sitzt mit seinen beiden Kumpels in einem der Lernräume. Ein ruhiger, bedachter junger Mann mit kur- zen, dunklen Haaren. Er ist in der 12. Klasse, sein erstes Über den eigenen Horizont hinausschauen – das ist an der Evangelischen Schule Berlin Zentrum Teil des Unterrichts. Abijahr, gerade brütet er über ein paar Aufgaben. „Mir macht es Spaß, zur Schule zu kommen, es ist ein Raum, in dem ich mich entfalten kann“, sagt er. Er erinnert sich noch gut an seine Herausforderungen. In der 8. Klasse sind sie nach Mecklenburg-Vorpommern gereist, haben auf einem Ferienhof im Wohnwagen geschlafen und geholfen, Unkraut jäten, Gelände markieren. „Das war schon ein krasses Gefühl. Das erste Mal auf sich alleine gestellt sein, alles selbst zu planen. Das prägt, macht selbstständiger“, sagt er. Ein Jahr darauf wollte ein Busfahrer sie und ihrer Räder nicht mitnehmen, also mussten sie fahren, 10, 20, 30 Kilometer. Sie hatten keine Karte, kein Smartphone, irgendwann klingelten sie an einem Haus. Der Mann hatte Mitleid und schenkte ihnen eine Fahrradkarte, irgendwann spätabends kamen sie an ihrem Ziel an. „Das war ein tol- les Gefühl, es allein geschafft zu haben.“ Das erste Mal auf sich allein gestellt zu sein, alles selbst zu planen. Das prägt. In der 11. Klasse kommt dann das große Abenteuer, drei Monate allein im Ausland, aber nicht in den Ferien, sondern in der Schulzeit, und auch nicht in einer anderen Schule, sondern wirklich arbeiten. Manche beobachten für den Naturschutzbund Vögel im Wattenmeer, andere reisen nach Schweden, um auf einem Ökobauernhof mit anzupacken. Manche nutzen die Gelegenheit und fahren in das Land ihrer Vorfahren nach Tansania, nach Kuba, um dort zu arbeiten. Oscar war in Irland, dort hat er auf einem Bauernhof geholfen. Er hat Zäune gebaut, sich um die Tiere geküm- mert, Pferdemist geschaufelt. Das Wichtigste aber: „Ich bin dort Teil der Familie geworden“, sagt er. Natürlich hatte er Heimweh, zwischendurch wäre er am liebsten auf und davon. „Aber ich habe durchgehalten“, sagt Oscar stolz. Er erinnert sich, wie er morgens aus seiner kleinen Hütte trat, auf die Hügel schaute, die Schafe und den Hund hörte und realisierte, dass er jetzt hier sei. „Sie gehen als Jugendliche und kommen als Erwachsene wieder“, sagt Marienfeld. Die Zukunft, sagt der Direktor dieser unscheinbaren Schule in Berlin-Mitte, ist ungewiss. Aber seine Schüler*in- nen haben alle Werkzeuge an die Hand bekommen. Sie sind neugierig, können durchhalten und sich in neue Situ- ationen hineindenken.