Thema Solidarität Die Solidarität erstreckt sich in Velbert auf beide Seiten einer wenig befahrenen Landstraße. Auf der einen als Felder, Wiesen und Wald, auf der anderen als Bauernhof mit Ställen, Gewächshaus, Käserei und einem großen Haus im Fachwerkstil. Davor nimmt eine Frau in roter Cordjacke und weiten Blue-Jeans ihre Besucher*innen in Empfang. Miriam Wegerer ist eine von vier Päch- ter*innen des Hofs Vorberg. Gemein- sam leben und arbeiten sie hier. Der Hof Vorberg ist eine Solidari- sche Landwirtschaft. In Deutschland gibt es Hunderte Höfe, Gärtnereien oder private Gruppen, die nach dem Solidarprinzip Ackerbau und Tierhal- tung betreiben. Die genauen Konzepte unterscheiden sich von Ort zu Ort, haben aber alle eins gemeinsam: In ihnen schaffen Menschen einen eige- nen Wirtschaftskreislauf, den sie selbst organisieren und finanzieren. Einen Schuhwechsel später steht Wegerer in der Käserei des Hofes. Dort wartet Mitpächterin Miriam Ballhaus auf sie, die ein rotes Tuch um die Haare und ein blaues Oberteil voller weißer Flecken trägt. Ballhaus stellt aus der hofeigenen Milch rund 15 Käsesorten her. „Wir wollen die Leute nicht lang- weilen“, sagt sie und lacht. In einer Solidarischen Landwirtschaft sei Viel- falt ein Vorteil. Anders als in konven- tionellen Betrieben, die sich meist auf ein Produkt konzentrieren. Schwer überzeugt vom System In Velbert versorgen Wegerer, Ballhaus und ihre zwei Mitstreiter*innen derzeit 200 Mitglieder. Die haben sich, je nach Wunschmodell, für eine wöchentliche Ration an Gemüse oder Eiern und Milch- produkten entschieden. Auch Obst bie- tet der Hof über dieses System an, das muss allerdings selbst gepflückt wer- den. Die Mitglieder zahlen dafür einen monatlichen Betrag, der nach dem Soli- daritätsprinzip festgelegt wird. Einmal im Jahr treffen sie sich zu einer Bieterrunde. Die Hofbetreiber*innen legen ihr Budget offen und dann wird so lange geboten, bis genug Geld zu- sammenkommt. „Nach zwei Runden funktioniert das eigentlich immer“, sagt Wegerer. Wer mitmachen will, muss sich bewerben Die vier Pächter*innen kennen sich noch aus Studienzeiten in Witzenhau- sen, einem Außenstandort der Univer- sität Kassel für Ökologischen Land- bau. Dort konnte Wegerer sich bereits in einem Solidarischen Landwirt- schaftsprojekt ausprobieren. „Ich bin schwer überzeugt von dem System“, sagt sie. Es sei ein schönes Gefühl, Woche für Woche eine Gruppe zu ver- sorgen, ergänzt Ballhaus. Auf dem Weg von der Käserei zum Kuhstall geht es um die vielfältigen Arten, wie Solidarität in ihrem Kon- zept gelebt wird. Um die Solidarität der Mitglieder ihnen gegenüber, wenn sie wetterbedingte Ernteschwankun- gen mittragen. Und die Solidarität un- ter einander, wenn manche mehr leisten und mehr zahlen können als andere. Eigentlich sei es auch ein Beitrag für diejenigen, die gar nicht bei ihnen mit- machen, sagt Wegerer irgendwann. „Mit all dem, was unsere nachhaltige Landwirtschaft mit sich bringt, sind wir auch der Gesellschaft und der Natur gegenüber solidarisch.“ Wer sich in Velbert beteiligen möch- te, muss sich bewerben, bezahlen, sonst aber nicht viel tun. Das unterscheidet den Hof von anderen, deutlich mitma- chorientierteren Konzepten. Es gibt allerdings genügend Möglichkeiten für diejenigen, die sich dennoch einbrin- gen möchten. Die acht Verteilstellen in der Region werden von den Mitglie- dern selbst organisiert, es gibt wöchent- liche Unterstützungsmöglichkeiten und besondere Aktionstage. Was mit dieser Hilfe möglich ist, lässt sich am Kuhstall erkennen, in 24 dem Wegerer nun steht. Hinter ihr sta- pelt sich frisches Heu, rechts neben ihr liegen Kälbchen in der Ecke. „Das war ein Riesenprojekt“, sagt sie. Der Stall ist brandneu, beim Abriss und Neuaufbau haben viele Mitglieder ge- holfen. „Wir wollen zwar klein und bäuerlich sein, aber auch ein bisschen modernisieren.“ Der Hof, den Wegerer und ihre Mitstreiter*innen seit 2017 bewirtschaf- ten, gehört seit über 30 Jahren einem gemeinnützigen Verein. Als der vorhe- rige Pächter starb, suchte Wegerer mit ihrem Partner Benjamin Todtmann ge rade überall in Deutschland nach einem passenden Hof. Spontan kon- taktierten sie die alten Studienfreun- dinnen. Gemeinsam entschieden drei süddeutsche Frauen und ein Hamburger Mann, in das ihnen unbekannte Bergi- sche Land zu ziehen. „Manche würde es Kommune nennen, ich nicht“, sagt Wegerer und lacht. Karge Winter mit viel Kohlgemüse Direkt neben dem Wohnhaus der Pächter*innen liegt der Schweinestall, um den sich Todtmann kümmert. Auf dem Hof wird auch geschlachtet, das Fleisch jedoch nicht über die Solida- rische Landwirtschaft verteilt. Es gibt Hühner und einen großen Teich, den sie nach den ersten trockenen Som- mern über eine Crowdfunding-Aktion finanziert haben. Während Wegerer über den Hof führt, deutet sich der Frühling gerade erst vorsichtig an. Es ist warm und sonnig, aber die großen Ernteerträge gibt es noch nicht. An die kargen Winter und das viele Kohlge- müse muss sich manches Neumitglied erst gewöhnen. „Tomaten könnten wir das ganze Jahr über mehr loswerden“, sagt Wegerer. Aber so funktioniert nachhaltige Landwirtschaft eben nicht. Alle Pächter*innen haben im All- tag ihre festen Aufgaben und werden dabei von Auszubildenden und Frei- willigendienstleistenden unterstützt,